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Anmerkungen zu

Vladimir Majakovskij (1893 – 1930)

von Eric Boerner

Zu Leben und Werk

Es ist sicherlich eine zweifelhafte Angelegenheit, von Stalin in der Zeit der Schauprozesse zum größten Dichter der Sowjetzeit ausgerufen zu werden und damit zum fakultativen Schulstoff und dogmatisierten Vorbild für andere Dichter ernannt zu werden. Der Dichter selbst war zu diesem Zeitpunkt schon sechs Jahre nicht mehr am Leben, hatte sich, ganz unrevolutionär, eher wie ein am Leben gescheiterter Bürger, erschossen und das in dem Lande, das sich als Heimat der Revolution verstand. War Majakovskij überhaupt ein Revolutionär?

Ja und Nein. Nach dem Jahr 1905, der Proberevolution, finden wir den noch ganz jungen Knaben aus der Unterschicht (nach dem Tod des Vaters geriet die Familie in arge Existenznot, musste sich durch das Vermieten von Zimmern über Wasser halten) bei den Kommunisten. Die konstitutionellen Zugeständnisse an die Demokraten im Lande werden aber vom Zaren immer stärker nivelliert, die Revolution ist gescheitert und Majakovskij wird Kunststudent. Hier schließt er sich den Futuristen an, der extremsten Gruppierung im Konzert des Postsymbolismus der 10'er Jahre. Innerhalb der Gruppe ist er aber durchaus kein Extremist. Während Velimir Chlebnikov, die Krutschonychs, David Burljuk Gedichte verfassen, die das Wort als solches verherrlichen, nur die phonetisch-grammatikalische Seite der Sprache berücksichtigen, etwas revolutionär Neues versuchen, bleibt Majakovskij dem Inhalt treu. Er ist eher der Propagandist der Truppe als ein Revolutionär der Dichtung. Er lästert über die weiterhin Pagen und Prinzessinnen besingenden Dichter mit ihren Plüschellenbögen, springt auf die Tische literarischer Cafès, besingt sich selbst als literarisches Supergenie, das groß, aber dabei nutzlos ist. Nicht zufällig hat die sowjetische Literaturwissenschaft, mit ihren am linken Realismus des 19. Jahrhunderts orientierten Vorstellungen, immer wieder darauf hingewiesen, dass Majakovskij auch als Futurist durchaus als Vorbild gelten könne, eben weil er so futuristisch gar nicht gewesen ist. Aber konventionell ist er auch nicht zu nennen. Es ist ein extremer Individualismus, der ihn beherrscht; der Mensch in der Masse, der mit allen Mitteln um Beachtung ringt, ist sein Thema.

Bei Kriegsausbruch finden wir ihn unter den Kriegsbegeisterten, als sich der Krieg immer mehr als Katastrophe erweist, unter den Kriegsgegnern. Er begrüßt die Februarrevolution, noch mehr den kommunistischen Staatsstreich, wird Mitarbeiter der Rosta, der sowjetischen Nachrichtenagentur, die mit Hilfe von gemalten und mit Agitationsversen versehenen Plakaten den Stand der »Revolution« zu den Massen trägt, Kampfaufrufe austeilt. Mandelstam wird ihn später einen Oberlehrer nennen: Majakovskij weiß immer, was gerade angesagt ist, die Tagesfragen sind sein Curriculum.

Majakovskij ist ein dienstbarer Herold des Zeitgeistes (nicht nur der kommunistischen Partei, die lediglich nach 1917 diesen Zeitgeist administratorisch festlegt), und darin konsequent und folgerichtig bis zum Ende. Darin liegt etwas Opportunistisches: Majakovskij hat einerseits einen unverwechselbaren Stil, er ist originell, man hört ihn heraus, andererseits wird sein Inhalt von außen bestimmt, nur dass er zur Wahrung des revolutionären Anscheins immer dessen extreme Seite ausfindig macht. Seine Konsequenz geht bis ins Seltsame: als die von ihm initiierte Linke Front der Künste (LEF) an den Parteivorstellungen scheitert (man ist jetzt an der Macht, braucht keine linken Veränderungen mehr), klopft er sogar bei der aus dem Proletkult hervorgegangenen Arbeiterdichterassoziation an (ein lächerlicher Massenverein, der ständig vorgibt, in der Maschinenhalle zu stehen, anstatt am Schreibtisch zu sitzen). All die Jahre waren das seine heftigsten Gegner im Einparteienstaat, die in ihm nur den bourgeoisen Möchtegern-Kommunisten sahen, und natürlich lehnen sie ihn als Mitglied ab. Der Zeitgeist hat Majakovskij nun ausgespuckt, ist seiner überdrüssig, weil es eine Pirouette zu viel geworden ist.

Darin liegt eine persönliche Katastrophe, denn Majakovskij ist eine von Zweifeln zerfressene Großmaulmaschine, auf äußere Anerkennung und Beachtung manisch angewiesen. Seine neuen Stücke werden nicht mehr gespielt. Die Partei und die Massen brauchen seine Belehrungen nicht mehr, denn sie sind angekommen im neuen Staat. Majakovskij wird etwas, dass er sich selbst nicht verzeihen kann: unzeitgemäß. Das Extreme will niemand mehr, weil jetzt nur noch das Sowjetbürgerliche zählt, das besagt: nur nicht auffallen. Und nicht auffallen kann Majakovskij nicht. Er begeht Selbstmord …

… aus gekränkter Eitelkeit, wie Pasternak meinte, der das nicht auffallen beherrschte, (weil er aus dem Großbürgertum stammte), zumindest solange, bis man ihm einen Nobelpreis verlieh.

Majakovskijs Selbstmord 1930 wirkte wie ein Schock. Es gab kaum Nachahmungstäter wie bei Esenins Selbstmord 1925. Bei Esenin war dieser Schritt absehbar, die Isolation in der neuen Zeit war sein Thema, die Verzweiflung darüber, dass er, der Bauernsohn, nicht wirklich ein Kommunist werden würde, dringt aus fast jeder Zeile. Mit Esenin fühlten viele, weil sie, wie er, nicht umerziehbar waren, sich dem Zeitgeist nicht liebedienerisch unterwerfen konnten, so sehr sie es auch versuchten. Majakovskij hatte Esenin 1925 ins Grab nachgerufen, dass es schwieriger sei, das Leben zu bauen, als sich zu töten. Es ist schwieriger, ein bedingungsloser Opportunist zu sein, als ein individueller Mensch mit einer individuellen Herkunft und individuellen Ansichten, heißt das wohl. Auch Opportunisten leiden – und sie leiden vielleicht mehr, als die ewig leidenden Dichter, die keine Opportunisten sein dürfen. Es sei denn, sie sind es so extrem, wie ein Majakovskij.

Dieser hat Lehrstücke geschrieben, aber er selbst war weitaus mehr das Lehrstück mit dem Titel: der größte Dichter der Sowjetepoche. Ein Widerspruch in sich, denn: Die Sowjetepoche brauchte vielleicht Leute, die Verse niederschrieben, um den Anschein künstlerischer Tätigkeit aufrecht zu erhalten, aber Dichter, Individualisten, waren nicht nötig, da sie dem Feindbild des Bürgerlichen entstammten, schädlich waren.

Majakovskij wurde am 19.7.1893 geboren und beging am 14.4.1930 Selbstmord. 1936 ernannte ihn Stalin, eine »außerliterarische Autorität«, zum größten Sowjetdichter.

II

Welcher Art waren Majakovskijs Leistungen als Lyriker? Ein Innovator. Naja, eigentlich: Die von ihm gepflegten unreinen Reime gab es schon in der Romantik, nur nicht als Grundregel. Valerij Brjusov hatte den Verslibre 1905 in die russische Literatur eingeführt, eine Form, die, extremer als Majakovskijs Langzeiler, auf Reime ganz verzichtet und noch größere prosaische Gestaltungsmöglichkeiten zulässt. Prosadichtung, ebenfalls weitaus extremer als Majakovskij, gab es schon in der Romantik bei Lermontov, allerdings halten russische Wissenschaftler sie für Skizzen zu Gedichten, die nicht geschrieben wurden.

Viel verdankt Majakovskij auch Walt Whitmans staatsbürgerlicher Begeisterung fürs Amerikanische, die bei ihm eben eine fürs Sowjetische ist. Sich futuristisch an die Zukunft zu wenden, weil die Zeitgenossen mal wieder nicht verstehen, wie Majakovskij es zuweilen tat, ist spätestens seit Horaz dichterischer Standard. Eigentlich bleibt, als Innovation, nur die graphische Anordnung in Treppenstufen, um die Zäsuren im langzeiligen Verslibre anzugeben.

Aber Innovation ist nur ein Ziegelstein für Feuilletonisten. Majakovskij war in seinem Können auf der Höhe der Zeit, vor allem technisch. Das ist schon viel. Er vermittelt ein Zeitbild. Je weniger man Kommunist ist, um so weniger versteht man seine Sowjetverse, umgekehrtes gilt für seine Dichtung vor 1917, die von den Kommunisten nie richtig verstanden wurde. Majakovskijs sowjetische Gedichte müssen heute mit vielen Anmerkungen verständlich gemacht werden, denn zu viel ist zeitgenössisches Geplapper, nur im Zeitkontext überhaupt interessant. Eben doch kein Dichter der fernen Zukunft, obwohl er sich bis zuletzt vor allem als Futurist verstand.

Kein Prophet wie Dostoevskij war er, der aus dem Geist der Gegenwart Fehlentwicklungen des Kommenden vorhersagen konnte, sondern in den Irrtümern der Gegenwart gefangen, ja deren zuweilen haarsträubender Verfechter. Er hat es aber verdient, gegen den Strich gelesen zu werden, um seiner psychischen Grundstruktur auf die Spur zu kommen, die hinter seinen Versen, hinter seiner großen Klappe, verborgen ist, sogar sorgsam versteckt. Irgendwie war er vor sich selbst auf der Flucht, denn er besaß eine zerrissene Seele, die zuweilen Spaß daran hatte, Kinder sterben zu sehen. Man kann viel von ihm lernen, wenn auch vielleicht nur, wie man es nicht machen sollte.

In vielem wirkt er wie die Erfüllung von jener Vision des Menschen, die Dostoevskij in seinem Roman »Die Teufel« dargestellt hatte: durch den Verlust der Religion stellt sich eine innere Leere her, die verzweifelt mit letzlich unhaltbaren Ersatzreligionen wie Kommunismus und Nationalismus gefüllt werden müssen, die den Menschen zum Spielball der Ideologie, letztlich zu einem Werkzeug totalitärer Machthaber werden lassen.

Majakovskij hasste die Religion, identifizierte sich aber mit Jesus als dessen dreizehnter Apostel. Erst wollte er Puschkin vom Dampfer der Gegenwart werfen, später hielt er sich für dessen besten Freund und Nachfolger und er erschoss sich, als er das Alter erreicht hatte, in dem Puschkin im Duell zu Tode kam. Ein Mensch mit Widersprüchen, die er irgendwann nicht mehr aushalten konnte – ein besonderer Mensch. Und es sind diese Besonderheiten, die er in seine eigene und eigentümliche Sprache verwandelte; was ihn zu einem Dichter macht, der auch heute noch Interesse verdient.

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© Illeguan 2002