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[Pfeil]Deutschte Nachdichtung von Mozart und Salieri
[Pfeil]Gedichte von Alexander Puschkin
[Eric Boerner]

Puschkins »Mozart und Salieri«

von Eric Boerner

 

Wie die anderen Einakter Puschkins stellt »Mozart und Salieri« ein tiefgründiges Kabinettstück dar, das an der Oberfläche eine einfache Thematik behandelt, aus der sich erst bei genauerer Analyse die einzigartige Gedankenfülle entwickelt, die für Puschkin so charakteristisch ist.

Zunächst einmal eine kurze Zusammenfassung des Stücks, da wir hier den Bekanntheitsgrad, den es in Rußland genießt, nicht voraussetzen können:

Sal'eri sinnt im Eingangsmonolog gerade darüber nach, ob er eine Berechtigung hat, Mocart umzubringen, weil er ihn wie keinen anderen beneidet und fürchtet, als dieser auch schon eintritt, um ihn mit einem blinden Geiger zu überraschen, der eine Arie aus dem Figaro fideln kann. Sal'eri bringt sein Erstaunen über solche Albernheiten zum Ausdruck, lädt Mocart dann aber zum Abendessen ein. Während des Mahles erzählt Mocart von einem Schwarzen Mann, der ihn verfolgt, seit er an seinem Requiem komponiert. Arglos trinkt er das tödliche Gift, das ihm sein Widersacher in den Wein gemischt hat. Nach vollzogener Tat befallen Sal'eri plötzlich Zweifel über sein eigenes Genie, weil Genialität und Verbrechen nicht vereinbar sind.

Dieser Einakter entstand ähnlich wie sein Pendant »Der geizige Ritter« als Charakterstück, das vor allem um eine menschliche Eigenschaft kreist. Ging es im geizigen Ritter um den Geiz und seine Folgen, so geht es in »Mocart und Sal'eri« um den Neid. So wurde dieses Stück auch in den Entwürfen zunächst betitelt. In diesem Falle ein Neid, der in einem Mord kulminiert und deshalb zwangsläufig mehrerer sehr grundlegender Motivierungen bedarf, um überzeugend zu wirken. Puschkin entwickelt sie pychologisch sorgfältig schon im Eingangsmonolog Sal'eris, der unter anderem auch dessen künstlerische Biographie zum Inhalt hat.

So ist Sal'eri bereits früh mit der Musik in Berührung gekommen und hat alles für sie aufgegeben:

Sal'eri:(…)
Otverg ja rano prazdnye zabavy;
Nauki, čuždye musyke, byli
Postyly mne; uprjamo i nadmenno
Ot nich otreksja ja i predalsja
Odnoj muzyke.
(Sal'eri: Die eitlen Freuden habe ich früh abgelegt, / Wissenschaften, die der Musik fremd sind, erschienen mir / überflüssig; aufrichtig und zielstrebig / ging ich von ihnen ab und gab mich / allein der Musik hin.)

Er erarbeitet sich die Musikästhetik seiner Vorgänger, lernt deren Kunstvorstellungen handwerklich zu beherrschen und findet schließlich in der Gluckschen Opernreform das Sprungbrett zu einem Schaffen, das bei den Leuten Anklang findet und im Stück von Mocart selbst als genial bezeichnet wird. Er hat seine Fähigkeiten durch schwere Entsagung erlangt, was zwangsläufig Neidgefühle gegenüber seinem Gegenspieler erwecken muß, der alles das scheinbar ohne Anstrengung erreicht hat – und noch dazu populärere Musik schreibt.

Ein weiteres Haßmotiv ist der bedenkenlose Umgang Mocarts mit dem gesellschaftlichen Stellenwert der Musik, was als unmittelbare Folge der Leichtigkeit seines Schaffens denkbar ist. Mocart hat nichts gegen eine Herabwürdigung des Kunstwerks einzuwenden, wie sie im Gefidel des blinden Geigers vorgeführt wird, im Gegenteil, er bestärkt diesen noch durch ein Trinkgeld in seinem Tun, als Sal'eri ihn ärgerlich hinauswirft. Mocart stellt mit dieser Leichtfertigkeit die Kunst in ihrem Wert in Frage, der nach Sal'eris Auffassung in der für sie aufgewandten Zeit und Entsagung besteht.

Zum weiteren kann Sal'eri keinen Nutzen in Mocarts Musik finden. Zwar ist sie seiner Meinung nach unmittelbar göttlichen Ursprungs, aber gerade deshalb unwiederholbar, sie führt nicht weiter, da man ihr in dieser Vollendung nicht nacheifern kann. So läßt sie Sal'eri einerseits seine mangelnde Inspiration bewußt werden, andererseits hilft sie ihm aber nicht, sich weiter zu entwickeln, erniedrigt folglich nur seine Eigenliebe und erzeugt Haß.

Ein weiterer psychologischer Grund findet sich in Sal'eris Einsamkeit, die formal schon aus den langen Monologen hervorgeht. Er muß sie vor allem deshalb als Bedrückung empfinden, weil Mocart verheiratet ist, also nicht einmal das einfache Familienglück für die Musik aufgeben mußte. Sal'eris mönchischer Asketismus ließe solche eitlen Freuden (prazdnye zabavy) einfach nicht zu.

Die Vielzahl von Gründen für einen ausgeprägten Neid, der sich zum Ende des Eingangsmonologs in ausgeprägten Haß steigert, bietet genug Hintergrund und Motivation für einen Mord, zeigen sie doch das Bild eines monomanen Hohepriesters der Musik, der seine gesamten Glaubenssätze verraten sieht. Die Motivation für Sal'eri ist damit ausreichend gesichert, als Motivation des Stückes reicht der Neid aber nicht aus, weshalb Puschkin den Titel »Neid« wohl auch später aufgab.

Schwerer fällt die Charakterisierung Mocarts, der bei weitem weniger Text hat und sich nicht wie Sal'eri in langen Monologen selbst ergründet. Allzu leicht könnte man deshalb auf die Idee verfallen, ihn nur als gutgläubig und naiv zu sehen und in romantischer Tradition auf einen göttlich inspirierten Künstler zu reduzieren, der sich seines eigenen Könnens nicht bewußt ist, wie es von Sal'eri an mehreren Stellen behauptet wird:

Sal'eri: Ty, Mocart, bog, i sam togo ne znaeš';
Ja znaju, ja.
(Sal'eri: Mocart, du bist ein Gott und weißt es selber nicht; / Ich weiß es, ich.)

oder an der Stelle, die beinahe alles vorher gesagte zusammenfaßt:

Sal'eri: Gde ž pravota, kogda svjaščennyj dar,
Kodga bessmertnyj genij – ne v nagradu
Ljubvi gorjaščej, somootverženija,
Trudov userdija, molenij poslan –
A ozarjaet golovu bezumca,
Guljaki prazdnogo?… O Mocart, Mocart!
(Sal'eri: Wo liegt die Gerechtigkeit, wenn die göttliche Gabe, / wenn das unsterbliche Genie – nicht als Lohn für brennende Liebe, Selbstaufopferung, / herzliches Bemühen und Gebete verliehen wird – / sondern den Kopf eines Wahnsinnigen erleuchten, / eines eitlen Bummlers? … Oh, Mocart, Mocart!)

Es gibt aber einige Momente im Drama, die den Schluß nahelegen, daß Sal'eri in seiner Rolle als neidzerfressener Giftmörder nur Mittel zum Zweck ist, um Mocarts eigene Todessehnsucht zu erfüllen, die aus einer gefährlichen Kunstauffassung erwachsen ist.

So ist es immerhin möglich, daß Mocart die eben zitierte Worte gehört hat, da er gleich darauf eintritt. Seine Worte

Mocart: Aga! uvidel ty! a mne chotelos'
Tebja neždannoj šutkoj ugostit'
(Mocart: Aha! du hast es gesehen! aber ich wollte / dich mit einem unerwarteten Scherz bewirten.)

sind zweideutig. Einerseits kann »uvidel ty!« einfach nur bedeuten, daß Sal'eri Mocart vor der Zeit gesehen hat, als dieser ihn überraschen will, andererseits aber auch, daß Sal'eri Mocart als »Verrückten, als eitlen Bummler« erkannt hat, und Mocart ihm in dieser Einschätzung recht gibt.

Im nächsten Moment stachelt Mocart den Neid Sal'eris durch den blinden Geiger weiter an:

Mocart: Smešnee otrodu ty ničego
Ne slychival… Slepoj skrypač v traktire
Razygryval voi che sapete. Čudo!
(Mocart: Etwas Lustigeres hast du niemals / gehört … Ein blinder Geiger im Gasthaus / spielte voi che sapete. Ein Wunder!)

Der Geiger spielte also ein bekanntes Stück aus »Le Nozze di Figaro«, als Mocart ihm begegnete. Dies ist ein Zeichen für Mocarts weitreichende Popularität, die bis in die niederen Volksschichten vorgedrungen ist und Sal'eris Neid Vorschub leisten muß, umso mehr, weil hinter dem Neid auch die Furcht vor einer falschen Musikauffassung steckt, die offensichtlich bereits Kreise zu ziehen beginnt. Auf die Aufforderung »etwas von Mocart zu spielen!«, setzt der Geiger sofort mit einer Arie aus dem Don Giovanni ein. Dies zeugt von einer großen Bekanntheit einer weiteren Mozartoper im einfachen Volk, während Sal'eris Werke weitgehend unbekannt geblieben sind. Zwar erwähnt Mocart an einer Stelle des Dramas ein Motiv aus Sal'eris »Tarara«, daß er immer intoniert, wenn er glücklich ist, aber diese Anerkennung ist lediglich die eines Spezialisten, nicht die eines breiter gefächerten Publikums.

Mocart unterbricht dann Sal'eris Haßtirade auf den Geiger mit der Aufforderung, auf seine (Mocarts) Gesundheit zu trinken. Unbewußt lenkt er damit Sal'eris Aufmerksamkeit gerade auf die eigene Gesundheit und verstärkt damit antithetisch den Gedanken an den Giftmord.

Einige Repliken Mocarts grenzen an heuchlerische Selbstherabsetzung, um Lob zu ernten. So hakt er bei Sal'eris offener Eloge noch einmal in naiver Weise nach:

Sal'eri:                Ty s etim šel ko mne
I mog ostanovit'sja u traktira
I slušat' skrypača slepogo! – Bože!
Ty, Mocart, nedostoin sam sebja.
Mocart: Čto ž, chorošo?
Sal'eri:                            Kakaja glubina!
Kakaja smelost' i kakaja strojnost'!
(Sal'eri: Damit kamst du zu mir / und konntest in einem Gasthaus einkehren / und einem blinden Geiger zuhören! – Gott! / Mocart, du bist deiner selbst nicht wert. /
Mocart: Was, ist es gut? /
Sal'eri: Welche Tiefe! / Welches Können und welche Ordnung!)

Sein offensichtliches Meisterwerk hat Mocart auch vorher schon als »bezdelica«, Zeitvertreib, bezeichnet. Diese Selbstherabsetzungen müssen Sal'eri zur Weißglut treiben, da sie den Verzicht, den dieser für seine Kunst leistet, als überflüssig erscheinen läßt.

Auch die Einladung zum Essen provoziert Mocart dadurch, daß er Sal'eri auf seinen leeren Magen hinweist:

Mocart: (…)
No božestvo moe progolodalos'.
Sal'eri: Poslušaj: otobedaem my vmeste
V traktire Zolotogo L'va.
(Mocart: Doch meine Göttlichkeit leidet Hunger. /
Sal'eri: Hör zu, laß uns gemeinsam zu Abend essen / im Gasthaus zum Goldenen Löwen.)

Der Hinweis auf den Hunger erweist sich sofort als unnötig, weil Mocart sich erst bei seiner Frau abmelden muß, die sonst mit dem Essen auf ihn warten würde:

Mocart:                                      Požaluj;
Ja rad. No daj schožu domoj skazat'
Žene, čtoby ona k obedu
Ne dožidalas'.
(Mocart: Bitte sehr; / es freut mich. Aber laß mich noch nach Hause gehen, meiner Frau / zu sagen, daß sie mit dem Essen / nicht auf mich warten soll.)

Mocart bestärkt Sal'eri in seiner verächtlichen Haltung ihm gegenüber, stachelt dessen Neid weiter an und bietet am Ende Sal'eri noch einen Vorwand, ihn zu jenem gemeinsamen Essen einzuladen, bei dem er schließlich vergiftet wird.

Selbst das Thema Giftmord wird von Mocart ganz offen und zwanglos zur Sprache gebracht, fast als wollte er Sal'eri auf diese Möglichkeit hinweisen.

Mocart: (…)
La la la la… Ach, pravda li, Sal'eri,
Čto Bomarše kogo-to otravil?
(Mocart: La la la la… Ach, stimmt es, Sal'eri, / daß Beaumarché einen vergiftet hat?)

Alle diese Dinge können verschiedenen Motivationen entspringen: grenzenloser Leichtfertigkeit, der Lust, den anderen in seinem Neid noch weiter zu quälen, aber auch der unterbewußten Absicht, die im Schwarzen Mann aufscheinende Todessehnsucht zu befriedigen, weil damit Sal'eri soweit gereizt wird, daß er den Verursacher seines Neides vernichten muß. Da Mocart seine Handlungen nicht reflektiert, ihnen von sich aus keine expliziten Motivationen beigibt, bleiben solche Interpretationen letztlich aber Spekulation. Sie charakterisieren Mocart gerade als den intuitiven Menschen, als der auch seine Kunst gesehen wird, als Ausfluß einer numinosen Harmonie, die in ihren Kräften letztlich unbestimmt bleiben muß.

Diese Harmonie wird von Mocart selbst ganz am Schluß des Stückes als gefährlich für die Welt erklärt:

Mocart: Kogda by vse tak čuvstvovali silu
Garmonii! No net: togda b ne mog
I mir suščestvovat'; nikto b ne stal
Zabotit'sja o nuždach nizkoj žizni;
Vse predalis' by vol'nomu izkusstvu.
(Mocart: Wenn doch alle so die Kraft der Harmonie / spürten! Doch nein: dann könnte / die Welt nicht weiterbestehen; keiner würde sich mehr / um die Notwendigkeiten des niedrigen Lebens kümmern; / alle würden sich nur noch den freien Künsten zuwenden.)

Mocart spürt die Kraft der Harmonie in hohem Maße und sie trennt ihn von den Notwendigkeiten des niedrigen Lebens. Er trägt diese höhere Harmonie in die Welt hinein, ohne sich um ihre Auswirkungen zu kümmern, von denen Sal'eris Neid und Furcht nur eine ist, wenn auch die für ihn selbst verhängnisvollste.

Auch in anderer Weise ist Mocart das Opfer des höheren Ursprungs seiner Musik. So läßt sich der Schwarze Mann, der ihn seit dem Komponieren am Requiem ständig verfolgt, als der Tod selber beschreiben, der durch die Musik beschworen worden ist und von dem Komponisten Besitz ergreift. Durch eine Totenmesse wird der Kreis des Lebens geschlossen: folglich schließt Mocart durch die gedankenlose Komposition eines Requiems vorzeitig sein Leben ab. Die höhere Harmonie beginnt sich unwillkürlich gegen Mocart selbst zu wenden, obwohl er sich von seiner Arbeit eigentlich nicht trennen möchte:

Mocart: A ja i rad: mne bylo b žal' rasstat'sja
S moej rabotoj, chot' sovsem gotov
Už Requiem.
(Mocart: Doch ich bin froh: es täte mir leid mich / von meiner Arbeit zu verabschieden, obwohl das Requiem schon / völlig fertig ist.)

Mocart ist nicht nur Opfer von Sal'eri, in gewissen Sinne hat ihn seine Sorglosigkeit um die Natur der höheren Harmonie in eine Empfindungslage gebracht, die ihn direkt in die Arme seines Mörders treibt. Interessant ist an diesem Zitat auch, wie Puschkin hier ein Mißverhältnis zwischen Fiktion und historischer Realität einsetzt. Der wirkliche Mozart hat bekanntermaßen sein Requiem nicht vollenden können, während Puschkins Mocart von einem fertigen Requiem spricht. Mozart und Mocart sind folglich nicht als eine Person zu verstehen, Puschkin hat kein Abbild geschaffen, sondern eine völlig eigenständige Bühnenfigur. Mocart ist eine fiktive Person, in der sich eine bestimmte Kunstauffassung manifestiert, die mit der des realen Mozart nicht unbedingt übereinstimmen muß. Dieser hatte bekanntlich von Kindesbeinen an eine vorzügliche musikalische Ausbildung genossen und war kaum auf numinose göttliche Harmonien angewiesen, um herausragende Kunstwerke zu schaffen. Desweiteren war auch der echte Salieri verheiratet und nicht die vereinsamte Gestalt, als die er im Stück erscheint, sondern ein am Wiener Hofe sehr geachteter Musiker mit weitreichendem Einfluß. Selbst wenn Salieris vortodlicher Ausruf, er habe Mozart umgebracht, echt sein sollte, dürfte er sich eher auf einen gesellschaftlichen Tod in Folge von gesponnenen Intrigen beziehen, als auf einen tatsächlichen Giftmord.

Puschkins historische Fehler und Ungenauigkeiten beruhen auf einer unzulänglichen Recherche, der Unzugänglichkeit historischer Dokumente über die beiden Musiker in Rußland und nicht zuletzt eben in dem künstlerischen Willen, Archetypen hervorzubringen, die nicht unbedingt genauso in der Wirklichkeit vorkommen müssen.

In der inneren Logik des Stückes aber schließt sich eine Schere: einerseits wird Mocart von Sal'eri zum Tode verurteilt, weil er aus dessen Sicht gegen die Anforderungen der weniger begabten Künstler verstößt, ein gültiges Paradigma zu liefern, dem sie fleißig nacheifern können, andererseits wird er leichtsinniges Opfer der höheren Harmonie, indem er ein Requiem schreibt und damit seinen Schaffenskreis vor der Zeit abschließt.

Sal'eri und Mocart bilden einen dialektischen Gegensatz, der letztlich zum gleichen Ergebnis führt: Sal'eri liefert in seinem Monolog eine induktive Beweisführung, die mit einem Todesurteil endet, Mocart ahnt intuitiv seinen bevorstehenden Tod und sieht ihn im Schwarzen Mann verkündet. Puschkins Einakter hat eigentlich nicht drei, sondern vier Figuren: Mocart und Sal'eri als geniale Vertreter zweier widerstreitender Kunstauffassungen, den Geiger als Vertreter des einfachen Volkes und den Schwarzen Mann als Vertreter der im Requiem beschworenen höheren Harmonie.

Die vier Figuren sind dabei auf den Gegensatz »irdische Welt« und »göttliche Harmonie« verteilt. Sal'eri und der Geiger gehören der irdischen Welt an, Mocart und der Schwarze Mann der göttlichen Harmonie. Den beiden Künstlern kommt aber zudem eine Rolle als Vermittlern zu: Sal'eri ist zwar tendenziell Musikhandwerker (Demiurg), aber seine fast mönchische Askese und hohe Auffassung von der Kunst stellen ihn als Priester einer höheren Harmonie dar, die ihm selbst aber verschlossen bleibt. Mocarts Schaffen ist ganz in der göttlichen Harmonie zu Hause (Theurg), aber er ist in der Welt populärer, der Geiger spielt seine Musik, nicht die Sal'eris, und wird darin von Mocart im Gegenzug bestärkt. Mocarts Lebensführung ist zudem genußfreudiger, weltzugewandter Natur, Sal'eris dagegen weltabgewandt, elitär-solipsistisch.

[Die Beziehungen zwischen den Figuren]

Die eigentliche Tragik des Stückes besteht darin, daß beide Künstler in der Vermittlerrolle zwischen göttlicher und irdischer Welt scheitern. Mocart scheitert an der weltlichen Kunst, da er ihren Anforderungen zuwiderhandelt. Seine göttlichen Harmonien werden in der Welt zum Gefidel eines Blinden und finden keine Nachfolger. Sal'eri ermordet in Mocart die von ihm angebetete göttliche Kunst und damit auch sich selber als Künstler: er verfällt in Selbstzweifel und wird, ohne daß Puschkin dies weiter ausführen muß, da er auf ein historisches Faktum vertrauen kann, schließlich wahnsinnig, seine Musik wird zudem vom einfachen Volk gar nicht erst angenommen. Oder einfacher ausgedrückt: Mocart stirbt als Mensch, lebt aber im Volk als Künstler weiter, Sal'eri stirbt als Künstler, lebt aber als Mensch weiter, der seine Kunst an die nächstfolgende Generation weitergeben kann.

Dieser Chiasmus (Kreuzstellung) in der Figurenkonstellation des Stückes macht auch dessen besonderen ästhetischen Reiz aus. Rein von der Konzeption her gesehen, ist dieser Einakter von hervorstechender Ausgewogenheit. Erst die unwillkürliche Wertung, der Rezipient steht automatisch auf Seiten Mozarts, heute einer der bekanntesten Komponisten überhaupt, während Salieri fast vergessen ist, verschiebt die Perspektive und schwächt den dramatischen Impuls zugunsten einer Empörung gegen den ruchlosen Mörder ab. Puschkin hat dieser Verschiebung schon Rechnung getragen, indem er Sal'eri mehr Text und einen eigenen langen Eingangsmonolog gegeben hat. Zudem war zu Puschkins Lebzeiten Salieri noch weitaus bekannter als heute, so daß die Parallaxenverschiebung zugunsten Mozarts nicht so stark zum Tragen kam. Man muß nur den Film »Amadeus« von Milos Forman zum Vergleich heranziehen, der Puschkins Anlage weitgehend folgt, um zu sehen, welche Übertreibungen nötig sind, um noch eine ähnliche Ausgewogenheit zu erreichen: Mozart mußte zum halbdebilen Kasper abgewertet und Salieri zum geschickten Ränkeschmied aufgewertet werden.

Für eine gleichwertig nebeneinanderstehende Position beider Figuren spricht sich auch Mocart in Puschkins Stück aus:

Mocart:                                         Za tvoe
Zdorov'e, drug, za iskrennij sojuz,
Svjazujuščij Mocarta i Sal'eri,
Dvuch synovej garmonii.
(Mocart: Auf deine / Gesundheit, Freund, auf die aufrichtige Verbindung, / die Mocart und Sal'eri eint, / zwei Söhne der Harmonie.)

Natürlich ist diese Stelle zweischneidig: Mocart hält ein Glas mit Gift in seinen Händen, ohne es allerdings zu wissen. Sein Trinkspruch ist aufrichtig gemeint. Aber fast sofort nachdem er den vergifteten Wein getrunken hat, geht er zum Fortepiano und spielt sein eigenes Requiem, so als ob er wüßte, daß sein Ende nun kurz bevorsteht.

Spielt Puschkin an dieser Stelle lediglich seine Überlegenheit den eigenen Geschöpfen gegenüber aus, des theatralischen Effekts wegen, oder vollzieht sich hier wirklich die aufrichtige Verbindung, die Mocart und Sal'eri vereint? Jedenfalls schließt Mocart den Kreis seines Schaffens mit dem Requiem ab und wird, nicht zuletzt dadurch, als Künstler unsterblich, während Sal'eri die eigene künstlerische Schaffenskraft durch einen Mord unterminiert und, so kann es Puschkin aus der Kenntnis der historischen Realität voraussetzen, lediglich noch als Lehrer der folgenden Künstlergeneration taugt, darunter immerhin Beethoven und Schubert, bis er schließlich unter dem Druck seines Gewissens dem Wahnsinn verfällt. Allerdings macht dieser Einsatz historischer Fakten Puschkin noch nicht zu einem psychologischen Realisten, wie es die Forschung manchmal behauptet. Die wirklichen Personen werden konsequent auf Archetypen reduziert und im Sinne der romantischen künstlerischen Freiheit auch strikt verfälscht, wenn es dem Stück in seiner Anlage nutzbringend erscheint. Auch die tragische Stringenz des Stückes, die unmittelbar in die Katastrophe führt und damit den künstlerischen Willen allzu sichtbar werden läßt, widerspricht realistischen Grundsätzen, die den Gestaltungswillen eher verschleiern würden, um die Realität der Handlung zu betonen. Puschkin ist aber andererseits auf dem Wege zum Realismus, wenn man bedenkt, daß der schwarze Mann, als Figur der Phantastik, nicht auch, im Sinne romantischer Durchdringung von Wirklichkeit und Fiktion, als Figur auf der Bühne erscheint, sondern lediglich in Mocarts Phantasie. Natürlich weisen die erstaunlich tiefgreifenden psychologischen Motivierungen der Personen in gewissem Sinne auf den Realismus eines Dostoevskij voraus, aber sie sind etwas zu zielstrebig auf die Anlage des Stückes gerichtet, um den in sich widersprüchlichen und widerstreitenden Figuren der Realisten zu entsprechen.

Sal'eri ist, so bewußt er seinen Neid auch begründet und seine Mordtat logisch rechtfertigt, doch eigentlich nur der Vollstrecker eines höheren Willens, ein willkommenes Werkzeug des Schwarzen Manns, das in der Kleinheit seiner niedrigen Gefühle leicht auszurechnen ist. In Mocart aber ein Idealbild des Künstlers überhaupt zu sehen, der gedankenlos und ohne Blick für kommende Gefahren seine Werke anfertigt, scheint leicht naiv, auch wenn solche Vorstellungen weit verbreitet sind. Gerade die Vermittlerrolle zwischen irdischer Welt und göttlicher Harmonie setzt strategisches Denken voraus, um die aus dieser Rolle resultierenden Hindernisse überwinden zu können. Die Tragik des Stückes beruht gerade darauf, daß sowohl Sal'eri als auch Mocart keine umfassenden, sondern beschränkte Genies sind, denen es gerade an den Fähigkeiten des Gegenüber mangelt. Das rein rationale Kunstverständnis Sal'eris, in seiner Orientierung auf strikte Vorbilder eindeutig klassizistisch geprägt, scheitert genauso, wie Mocarts rein intuitives Schaffen, das von romantischen Vorstellungen geprägt ist.

Puschkins Position ist folglich nicht in einer der beiden Figuren zu suchen, sondern in der Vermischung von beiden. Das Drama markiert in seiner Absage an die Extrempositionen des Klassizismus und der Romantik, daß Puschkin sich auf der Suche nach einer eigenständigen Position zwischen diesen Extremen befand, so wie es auch der reale Mozart und der reale Salieri in ihrem wirklichen Leben als Künstler gewesen sind.

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© Eric Boerner – Illeguan 2000