W. Shakespeare: Sonette I – XXI |
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William Shakespeares Sonettevon Eric Boerner |
Über kaum ein Werk der Dichtung ist soviel Unsinn verbreitet worden wie über Shakespeares Sonette und dieser weit verbreitete Satz stimmt sowohl für die wissenschaftliche Aufarbeitung, als auch für die erhebenden Ergüsse von Bardologen, wie man Shakespearekenner gerne nennt, und das Gelaber von Literaturlaien. Einiges geht dabei auf das Konto des ersten Herausgebers der 154 Sonette, Thomas Thorpe, der durch die Erwähnung eines obskuren Mr. W. H. in seiner Widmung eine wahre Lawine von Spekulationen losgetreten hat, die diesen dunklen Punkt aufhellen wollen. Mit wenig Erfolg. Shakespearebiograf Sidney Lee will hier »lediglich einen Besorger« der Sonette namens William Hall erkannt haben, während andere einen »einzigen Inspirator« vermuten, allen voran Oscar Wilde, der aus vieldeutigen Zitaten in den Sonetten einen historisch nicht existenten Jungschauspieler namens William Hughes konstruierte und daraus gleich noch ein fiktives Essay um Bardologen spann, die zum Beweis dieses Unbeweisbaren Bilder fälschen und schließlich Suizid begehen. Natürlich hatte Shakespeare gleich noch eine wilde homosexuelle Affäre mit diesem jungen Unbekannten. Wilde liest hier seine eigene Affinität hinsichtlich junger Knaben in die Sonette hinein, wie ja allgemein in Literatur mehr hinein- als herausgelesen wird. Alles das ist genauso erheiternd wie gegenstandslos, da Raubdrucker Thomas Thorpe das Gegenteil einer Koryphäe darstellt und besser ignoriert werden sollte. Wir sind ihm allerdings sehr zu Dank verpflichtet, dass er der Nachwelt die Sonette gerettet hat, die sonst wahrscheinlich nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätten, da sie Shakespeare für einen engeren Freundeskreis schrieb und selbst an eine Veröffentlichung nicht gedacht zu haben scheint. Die Reihenfolge, in der die Sonette nummeriert sind, wurde häufig angezweifelt, ist aber im Groben und Ganzen folgerichtig. Die ersten siebzehn sind monothematisch an einen schönen jungen Mann gerichtet, der sich doch möglichst fortpflanzen soll, um diese Schönheit nicht verfallen zu lassen. Bis Sonett 126 folgen weitere, ebenfalls an einen Mann gerichtete Sonette, die auch mit anderen Themen spielen. So verspricht Shakespeare dem Angesprochenen ein ewiges Leben in seinen Werken, beklagt dessen überflüssige Eitelkeit, weil er sich schminkt oder malen lässt, oder fällt in Eifersucht, weil er auch anderen literarischen Größen seine Aufmerksamkeit schenkt. Der wahrscheinlichste Adressat ist darum Henry Wriothesley, Earl of Southampton, der als Shakespeares langjähriger Mäzen bekannt ist. Er war schon Adressat der Widmungen für Shakespeares Poeme »Venus und Adonis« und »Der Raub der Lucretia«, wo auch schon im Stile der Sonette von großer Liebe und Verehrung seitens des Verfassers die Rede ist. Southampton ließ sich häufiger malen und unterstützte auch andere Dichter, zudem war er um einiges jünger als Shakespeare, was zu der Einschätzung als schöner Knabe, fair boy, in den Sonetten führte. Eine homosexuelle Beziehung von Shakespeare zu Southampton kann man aber getrost ausschließen. Sonett 20 ist da ziemlich eindeutig: Als eine Frau warst du zuerst geschaffen, Ein Homosexueller, der kein Interesse am guten Stück des Liebsten hätte und dieses lieber der holden Weiblichkeit überlässt, den möchte ich einmal sehen. Tatsächlich handeln die ersten 126 Sonette eine platonische Liebe im Renaissancestil ab, die nur wenig körperliche Elemente enthält. Shakespeare hatte alle Veranlassung, sich seinen Gönner warmzuhalten, war er doch ein Schauspieler und Autor von geringer Herkunft (sein Vater war Handschuhmacher), ohne sichere Einkünfte und mit wenig Zugang zu den höchsten Kreisen der londoner Gesellschaft, da er zu allem Pech auch noch aus der Provinz kam. Der junge Southampton versorgte ihn mit Geld, machte ihn mit einflussreichen Mitgliedern des Hochadels bekannt (man denke nur an den Earl of Essex und Edward de Vere), und wurde als Gegenleistung in Shakespeares Werke eingebunden, dessen Talent er außerordentlich geschätzt hat und durch den er unsterblich zu werden hoffte, wie es auch manche Sonette versprechen. Natürlich spielen all diese 126 Sonette hin und wieder auch mit dem Thema Homosexualtität, Shakespeares Genie lässt es sich natürlich nicht nehmen, auch hier das ein oder andere anzudeuten, aber man darf nicht darauf verfallen, alles nur auf Sexanddrugsandrocknroll etc. zu reduzieren, wie es heutzutage gerne gemacht wird. Dies würde eine barbarische Verflachung eines weitgespannten Meisterwerks der Sonettliteratur darstellen. Schwieriger ist die Adressatfindung bei den sich bis Sonett 152 anschließenden Gedichten, die offensichtlich an eine dunkle Frau, eine dark lady gerichtet sind. Bezeichnenderweise nimmt sich in puncto sexueller Anspielung der Dichter hier einiges mehr heraus, als in der fair boy-Abteilung; unter anderem seinen Will, den diese Dame doch bitte aufnehmen soll. Leider ein Zeichen dafür, dass ein gerne der Homophilie verdächtigter Shakespeare eher der Heterophilie anhing. Per se ergeben sich drei Kandidatinnen für den Thron der schwarzen Dame, unter denen man wählen kann: Henry Wriothesley heirate einige Jahre nach seiner Bekanntschaft mit Shakespeare die Hofdame Elisabeth Vernon und zog sich dabei den Zorn von Elisabeth I. zu, die ihn sogar für eine Zeitlang in den Tower werfen ließ. Man könnte sich vorstellen, da Shakespeare nun der literarische Diener eines Ehepaars geworden war, dass er auch der neu erworbenen Ehefrau seines Mäzens seine Aufwartung in den Sonetten machen wollte, um seine Einkünfte und Beziehungen aufrecht erhalten zu können. Eine weitere Möglichkeit einer Adressatin besteht in der Tatsache, dass Shakespeare verheiratet war, mit der älteren Anne Hathaway, und hier einfach einer Ehepflicht genügen wollte, indem er seiner Ehefrau Gedichte schrieb. Nicht sehr aufregend, aber sogar in Sonett 145 belegbar: 'I hate' from hate away she threw Das »hate away« ist ein kaum übersehbares Wortspiel mit dem Mädchennamen seiner Frau: Hathaway. Allerdings könnte Sonett 145 ein Ausreißer sein, da es statt im fünfhebigen Jambus wie alle anderen, nur in einem vierhebigen geschrieben ist (Meine Übersetzung tilgte naturgemäß das unübersetzbare Wortspiel, wie leider auch den vierhebigen Jambus, da es sehr schwer ist, zumindest ohne große inhaltliche Verluste, englische Vierheber ins Deutsche zu übertragen.) Die sexuelle Freizügigkeit in einigen der dark lady-Sonette spricht tatsächlich eher für eine Ehefrau, als für eine Frau aus dem Hochadel, der gegenüber sich Shakespeare sprachlich wahrscheinlich dezenter verhalten hätte. Aber wer weiß das schon so genau. Die letzte Möglichkeit der Adressatin der dunklen Frau, zumindest wenn man nicht in ein ganz wildes Spekulieren verfallen will, ist Königin Elisabeth I. höchstselber, die auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung das beliebteste Ziel der Sonettschreiber war, die sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts in England tummelten. Als jungfräuliche Mutter des engen Landes war sie so etwas wie ein fakultatives Familienmitglied, dem man immer zu gedenken hatte; und so vielleicht auch Shakespeare in seinen Sonetten. Um Thomas Thorpe hierbei nicht völlig zu vergessen: wenn man W. H. um 180° Grad dreht, dann kommt ein H. M. heraus. Nein, keine anachronistische Anspielung an eine Bekleidungsfirma, sondern die Abkürzung für Her Majesty, Eure Majestät, die Virginqueen. Dummerweise war Elisabeth I. rot- und nicht dunkelhaarig und wurde bestenfalls noch mit blonden Haaren gemalt, als Zeichen ihrer Exzellenz. Sie war zum Zeitpunkt des Verfassens der Sonette zudem schon recht alt, auch wenn das zu der Zeit niemand offen thematisiert hätte, weshalb sie als halb erotisch angesprochene Gespielin eher unappetitlich wirkt. Da sie aber schon namentlich spiritus rector des Elisabethanischen Zeitalters war, ist sie sowieso irgendwie Teil der Sonette, weshalb wir auf dieser These nicht weiter herumreiten wollen. Mir persönlich scheint es am wahrscheinlichsten zu sein, dass, mit Ausnahme von Sonett 145, die dark-lady-sonnets an Elisabeth Vernon gerichtet waren. Denkbar ist, dass Shakespeare manche davon seinem Mäzen Henry Wriothesley überlassen hat, damit dieser sich bei seiner späteren Ehefrau einschmeicheln konnte. Aber ich muss zugeben, dass wir uns hier schon im Bereich wilder Spekulativik herumwälzen, und diese führt zu dem schon eingangs erwähnten Unsinn, der gerne über die Sonette des Herrn Shakespeare verbreitet wird. Es ist natürlich nicht unmöglich, aus den Andeutungen der Sonette eine menage a trois zwischen Henry Wriothesley, Elisabeth Vernon und Shakespeare zu konstruieren, aber dass letztere beiden dann auch noch ein Kind zusammen hatten, das Vorfahr von Lady Diana, der Gotthabsieseligen, sein soll … Billiger kann der Mann, oder hier die Literaturwissenschaftlerin, den Hund gar nicht mehr beißen, um in die Presse zu kommen. Und wenn man unbedingt jemanden suchen muss, der Shakespeares Werke eigentlich geschrieben hat, dann nehmt mich, denn immerhin habe ich einige seiner Werke übersetzt. Den leichten Anachronismus überspielen wir mit einem gehässigen Lächeln. Die letzten beiden Sonette sind für den Übersetzer besonders interessant; ganz im Gegenteil zu den Wissenschaftlern, die sie gerne fast unbeachtet lassen. Anscheinend handelt es sich um zwei verschiedene Übertragungen ein und desselben Gedichtes, die sich so stark unterscheiden, dass man sie gut und gerne für zwei völlig eigenständige Werke halten könnte. Da die vorhergehenden Sonette zwei verschiedene Personen als Gegenstand hatten, dachte Shakespeare vielleicht, sie mit diesem eineiigen Zwilling beenden zu müssen. Zumindest vom Ergebnis her kann man Shakespeare auch hier nur bewundern. Zu gerne wüsste ich, welchen Dichter er da übersetzt hat, um die Bandbreite seiner Übersetzungskunst besser einschätzen zu können. Vielleicht ist ein Literaturwissenschaftler hier ja mal gnädig und herablassend genug, es mir mitzuteilen. Auch wenn die Sonette durch einen fehlenden erzählerischen Spannungsbogen häufig sehr obskur wirken, zufällige Ergebnisse besonderer oder alltäglicher Umstände darstellen, die auf die Kontinuität einer Beziehung abzielen, auf die Shakespeare zeitweilig mehr als angewiesen war, so sind sie doch Meisterwerke, die man durchaus auch auf sein eigenes Leben beziehen kann, und an denen man sich als Leser in ihrer Kunstfertigkeit stets erfreuen muss. Wem meine Übertragungen dabei qualitativ nicht ausreichend erscheinen, der darf sich um so mehr an den beigesellten Originalen gütlich tun. * * * Ein paar Worte zu meinen Übertragungen möchte ich mir trotzdem noch erlauben. Sonett 145 habe ich, wie bereits erwähnt, vom vier- zum fünfhebigen Jambus erweitert, weil sich das Englische mit seinen vielen einsilbigen Worten erheblich knapper ausdrücken kann. An die vielen deutschen silbenfresserischen Hilfsverbkonstruktionen wollen wir gar nicht erst denken. Der fünfhebige Jambus dagegen ist, allerdings erst unter Einsatz aller Mittel sprachlicher Verkürzung im Deutschen, durchaus übersetzbar. Die eine oder andere inhaltliche Weglassung oder Vereinfachung wird der Leser leider verschmerzen müssen, es sei denn, er gibt sich mit den ästhetisch wenig ansprechenden Prosaübersetzungen zufrieden, die der Buchmarkt ebenfalls bereit hält. Für mich als Nachdichter sind die ästhetischen Verluste bei Prosaübersetzungen aber kaum erträglich, weil ohne die lyrische Form der gehobene Ausdrucksstil von Gedichten übertrieben manieriert und letztendlich geschmacklos klingt. Aber das ist Sache des Gusto oder wie der Kerl heißt. Während es nur ein Original gibt, sind beliebig viele Übertragungen und Übersetzungen denkbar, die alle ihre Vor- und Nachteile besitzen. Der Leser hat die Wahl, der arme. Ein anderer Punkt ist die Frage der Stilistik bei Übertragungen. Grundsätzlich übersetzt jeder in seine eigene Sprache. Wer Prosaübersetzungen kennt, weiß, dass selbst diese stilistisch gefärbt sind. Ein trockener Wissenschaftler erzeugt zwangsläufig trockene Prosa, ein Anhänger Thomas Mannscher Barockprosa wird dagegen mehr ins Blumige tendieren. Letztendlich ergibt sich immer eine Stilmischung zwischen dem Original, das natürlich aus seiner Zielsprache heraus weiterwirkt, und dem Stil des Übersetzers. Hierbei ist der Sprung von Shakespeare, der ein typischer Vertreter des Manierismus ist, der abschließenden Epoche der Renaissance, die bereits in den Frühbarock überleitete, zu unserem heutigen mehr oder weniger gepflegten Postmodernismus natürlich immens. Eine vollständige Transformation elisabethanischer Ästhetik in die Postmoderne würde letztlich zu albernen Parodien der Originale führen. Es gibt hier sehr beachtliche Beispiele von Ulrike Draesner und Feridan Saimoglu, deren Wirkung aber eher belustigend ist. Hieraus folgt, so man ernsthafte Resultate erzielen will, eine verstärkte Annäherung an die Stilistik der Shakespearezeit, wie wir es etwa aus der historischen Praxis der klassischen Musik kennen, die versucht, die Spielart und auch die Instrumente früherer Zeiten wieder aufleben zu lassen, und sie in die heutige Zeit zu integrieren. Das Ergebnis ist dabei immer eine Bereicherung. Völlige Stilreinheit wirkt dagegen klinisch, unlebendig und in letzter Konsequenz langweilig. Bei mir persönlich hat sich eher organisch, durch eine lange Praxis lyrischer Übertragung, eine gewisse, mir eigentümliche Art der Nachdichtung entwickelt, die ich in ihren Details nur schwer zu benennen wüsste. Ich persönlich habe zum Beispiel eine starke Abneigung gegen reine Reime in moderner Dichtung, da sie meist zu äußerst vorhersagbaren Aussagen und lyrischen Konstruktionen führen, die für mich allesamt nach Münchner Schule klingen, und Münchner Schule klingt für mich nach ästhetisierender Kotzbeutelei. Daher die Vorherrschaft der unreinen Reime bis hin zu reinen Assonanzen. Die noch sehr freien Rhythmisierungen meiner ersten Übertragungen, die den Bereich jambischer Versfüße deutlich hinter sich ließen, habe ich im Laufe der Zeit zu einer rhythmisch zwar noch sehr frei klingenden, aber für mich persönlich recht erstaunlichen Treue zu geregelten Ikten zurück- oder weiterentwickelt. Dass dem Freund reiner Reime und historisch überlieferter symmetrisch schöner Rhythmik meine Erneuerungen zu weit gehen, versteht sich genauso von selbst, wie dass dem Rapper zuwenig gerappt wird. Auch er ist ja ein Lyriker, folglich schwul, obwohl er das nicht unbedingt so sehen möchte. Letztendlich muss jeder selbst wissen, wo er bleibt. Allzu Modernistisches klingt reichlich schnell allzu altbacken und zeitgebunden, und das Archaistische klingt auch noch nach Jahren genauso überaltert wie schon zur Zeit seiner Entstehung. Das Schöne wird sich bewähren. Aus: |