Sergej Krinicyn: Über mich selbst |
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Aus den Aufzeichnungen eines Bleistiftsvon Sergej Krinicyn |
Teil 1… und mir blieb nichts anderes mehr übrig, als mich in einen Bleistift zu verwandeln. Ich wurde in einer Tasche verstaut und spürte die warme, gleichmäßige Bewegung des Atems. Dann wurde es still. Unbeweglichkeit. Wahrscheinlich war es jetzt Nacht, sie hatte sich schlafen gelegt, und mir blieb nichts anderes übrig, als allein über dem Stuhl zu hängen. Man kommt sich so seltsam vor ohne alle Extremitäten und gewohnten Organe. Der Körper besteht aus Holz, die Gedanken formen sich entlang der Mine. Das Graphit ersetzt mir die Innereien, das Blut und das Gehirn. Wie angenehm ist es doch, auf Nahrung verzichten zu können und nichts ausscheiden zu müssen. Schlagartiges Entsetzen: gedankenlos packt man mich in eine der hinteren Taschen, vergißt mich und setzt sich schwungvoll auf einen Stuhl – ich zerbreche und sterbe. Oder kommt es zu einer Spaltung des Bewußtseins? Werde ich doppelt vorhanden sein? Oder gar dreimal? Und was ist, wenn man mich in die hintere Öffnung einführt, sagen wir mal, um zu onanieren, würde mir das genehm sein? Was für ein Blödsinn geht mir da nächtens (fast hätte ich gesagt – durch den Kopf), obwohl es, scheint mir, schon Morgen ist, denn ich werde ein bißchen angestoßen, ein Kleid raschelt und ich höre – dumpf, wie unter Wasser, daß sie singt. Habe ich davon nicht einmal geträumt? Ich sehe jeden Buchstaben, spüre das Zittern ihrer Finger, weiß, wo sie sich bedenkt, über welchem Wort sie verweilt, kenne die kleinste Bewegung ihrer Seele – alles! alles bringe ich in Erfahrung! Natürlich habe ich mich ein wenig gefürchtet – schließlich bin ich ein Neuling auf diesem Gebiet – daß man mich plötzlich in die Verbannung schicken könnte, während ihre Finger einen anderen hölzernen Körper umarmen … Doch ich, der eifersüchtige und ungeschliffene Grobian, fürchtete noch etwas anderes – und das versetzte mir einen Stich. Ungeschliffen heißt ja nicht, daß man abgestumpft ist; um abzustumpfen, muß man mehr als ein Blatt beschrieben haben … Der Gedanke an Papier brachte mich in leichte Verwirrung. Glatt oder aufgeraut – was ist besser? Das erste ist angenehmer, auf dem zweiten ist man besser zu sehen. Auf dem glatten könnte man unsinnigerweise abrutschen – deshalb drückt sie stärker auf, zerbricht mich … Doch, wie Puschkin schon sagte, – ganz werde ich nie sterben, und der größere Teil fängt wieder von vorne an. Wenn mir das Papier nicht gefällt, werde ich es einfach zerritzen. Wie eine Klinge werde ich es solange zerschneiden, bis man mir ein neues gibt. Doch es kam alles ganz anders. Ich hatte mich kaum an die Wahrnehmung von Licht und Geräuschen gewöhnt, da zerrte man mich schon hinaus, und etwas blitzte über mir auf – ihr Lächeln etwa? – o weh! – es war eine Rasierklinge. Sie spitzte ihre Bleistifte mit einer Rasierklinge. Als die Schneide in meinen Körper eindrang, wäre ich vor Schmerz fast zerbrochen! Ich war stumm, hilflos, man schnitt an mir herum, wie es einem in den Sinn kam … – und ausgerechnet sie; als der Stahl durch den Graphit schnitt, durchfloß mich ohrenbetäubender Lärm und blendendes, schneidendes Licht drang auf mich ein und ging mir durch und durch. So als würde man mir den Skalp nehmen, und mit dem heraustretenden Blut begann sie zu schreiben, Notizen zu machen. Kein Papier, keine Worte. Dies ist alles, woran ich mich noch erinnern kann, was jenen Tag betrifft … * * * … Gegenstände haben zwei Schicksale – entweder sie kommen ins Museum oder sie werden entsorgt, obwohl man sich dabei nicht um sie sorgt, sondern sie einfach aufhäuft. Und dann auf die Halde. Als ich noch eine Vase war, bewahrte man in mir Geld auf, doch einmal, als man es in großer Eile herausholen wollte, ließ man mich fallen, damit ich zerscherbte und warf mich dann einfach fort. Am selben Abend noch wusch der Regen einen Haufen schmutzigen Glases – die erste Waschung seit langen Jahren. Ich weiß, wie es auf einer Müllhalde zugeht. Dann, als ich ein Zahn war, hatte ich Glück; zugegeben, das war mir nicht sofort bewußt, denn es handelte sich nicht um den besten Mund, den man sich vorstellen konnte. Ich wurde selten geputzt, obwohl ich zuverlässig meine Arbeit verrichtete und alle die hartgetrockneten Weißbrote und anderen Scheußlichkeiten zerkleinerte, die er in sich hineinfraß. Ich gewöhnte mich an Nikotin, an das Baden in Wodka. Einmal im Suff versuchte ich sogar eine Gabel zu zerbeißen, und das mit so einer Willensstärke, daß das Emaille zu splittern begann. Zum Glück mußte nicht ich die Schmerzen ertragen, sondern er. Ich stieg ihm auf den Nerv und er wand sich, wie auf einer Streckbank. Daran hatte ich ganz offen meinen Spaß, denn zu der Zeit haßte ich ihn schon längst für seine Angewohnheit, Fingernägel zu kauen. Er steckte sich seine ungewaschenen Wichsgriffel in den Rachen und kommandierte »Vaska, zubeißen!«. Ich konnte nicht mehr. Es kotzte mich an. Bei irgendeiner Schlägerei traf mich ein Stock – mein Nachbar zerplatzte in Stücke, doch ich hielt durch. Von jetzt an ging es abwärts. Ich hielt es nicht mehr aus und beendete mein Leben durch Selbstmord. Mein Gebieter versuchte mich zu retten – auf ein Mal! Zu spät, mein Lieber! Vollkommen sinnlos hast du dich im Stuhl vor Schmerzen gekrümmt, während dieser widerliche Bohrer mit lautem Sirren über mich herfiel. Wie ein alter Syphilitiker klappte ich einfach zusammen und mußte gezogen werden. Und hier geschah etwas seltsames: anstatt wieder auf der Müllhalde, wie ich gedacht hatte, fand ich mich in einem speziell angefertigten Glasgefäß wieder, im Museum. Das Gefäß war mit Spiritus gefüllt, diesem guten alten Bekannten. Aus den Worten des Mannes, der die Museumsführungen machte, konnte ich schließen, daß ich im Munde eines Künstlers aufgewachsen war und dort auch mein Leben beschlossen hatte. Ein Künstler, der vor kurzem große Berühmtheit erlangt hatte. Da er immer mit geschlossenem Mund arbeitete, konnte ich nicht einmal ahnen, womit er sich beschäftigte – nur daß er immer wie ein Rind vor sich hin gebrummt und gemuht hatte. Der Zahn eines großen Mannes. Zahn und Selbstmörder. Ich badete mich in der Anerkennung. Doch einmal gelangte irgendein Penner in das Museum, und, nachdem er sich von seiner Gruppe entfernt hatte, soff er (mit einem Salto) den Spiritus aus meinem Glas weg. Mich, der im Sturmtrupp mitmarschiert war, schleckte er ab, und spuckte dann aus. Keiner schien es bemerkt zu haben. Unter einem Museumspantoffel klebend, wurde ich hinausgetragen. Im Museum war es sehr angenehm, nur ein bißchen langweilig. Dem Schicksal entgeht man auch dort nicht … * * * In mir gibt es irgendeinen bestimmten Dreh- und Angelpunkt, so pflegten meine Frauen immer irgendwann zu sagen. Sie sagten das in bestimmten Momenten. Der Angelpunkt war ein Teil von mir. Für sie stellte er sich als ein fremder, außerhalb ihres Einflusses befindlicher Gegenstand dar. Diese Fremdheit kompensierten sie mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit ihm gegenüber. Und einer Herausmerksamkeit, die sich in die Manie steigerte, ihn durch herausnehmen entfernen zu wollen. Das äußerliche Interesse führte zu einem Vordringen nach innen, zum Innersten, zu den verborgenen Tiefen. Jetzt mußte ich, wollte ich mich noch als Mann fühlen, das Papier durchstechen, auch wenn die Hand, von der ich gehalten wurde, ganz andere Absichten verfolgte. Natürlich hing hierbei nicht alles nur von mir ab. Von mir hängt sowieso höllisch wenig ab. Nebenbei gesagt, stellt sich für mich schreiben und pissen inzwischen als ein und dasselbe dar. Blut pissend schreiben. Eine idiotische Angewohnheit. Doch wen interessieren schon die Gewohnheiten eines Bleistifts? Er wird nicht einmal um Rat gefragt. Er wird nervös durch die Finger gerollt. Mit ihm wird auf dem Tisch herumgeklopft, das heißt, sein Kopf auf den Tisch geschlagen, während man gedankenvoll die Stirn runzelt. Das Graphit zerbröckelt und löst sich in seine Bestandteile auf. Im besten Falle werden die Überreste vom Tisch gepustet. Im schlechtesten mit der Handfläche zerrieben bis auf dem Papier nur ein schmutziger Rest verbleibt, – mein Gehirn, in Schmutz verwandelt und dann! – oh mein Gott! – kennen sie das Wort »Ratzefummel«? Radiergummi? Radierer? Der verwandelt mich in nichts: wenn ich ihn neben mir erblicke, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich überhaupt existiere. Nun gut, kein Grund sich aufzuplustern. Ich bin's gewöhnt. Ich bin aus Holz. Beim Stechen handelt es sich um keine einfache Sache. Obwohl ich anfangs ganz schön spitz war, stumpfte ich trotzdem langsam ab, deshalb kam es mir so vor, als ob ich mich schon an alles gewöhnt hatte. Am Morgen erwartete mich die schon vertraute Klinge, der Alptraum begann von neuem. Meine Spitze wurde so scharf, daß auch ich selbst Schmerz zufügen konnte. Anfangs kratzte ich über das Papier, dann, als ein Punkt gesetzt wurde, durchstach ich es, doch damit war die Sache noch nicht vorbei. Während ich in der Bluse ruhte, gelang es mir, mich so zu bewegen, daß sich die Spitze direkt auf ihre Brust richtete. Der Stoff war schnell durchstoßen, ich drang in die zarte Haut ein und vernahm, schon voller Begeisterung, einen Schrei, doch dann gelangte ihre Hand zu der verletzten Stelle und schleuderte mich zur Seite. Der Stachel blieb im Fleische. Ich wurde weggeworfen und fand mich zwischen Kartoffelschalen wieder. Ich wurde feucht, trocknete wieder und platzte dabei auf. Durch die Ritzen vernahm ich einen Trauermarsch. Der Scherz war nach hinten losgegangen. Und noch dazu in solch einem Maße, daß er aufgehört hatte, ein Scherz zu sein. »… das ist wie ein böser Traum. Ich weiß, es klingt dumm, aber ich habe ihn den ganzen Morgen über argwöhnisch beobachtet. Ich wollte ihn gar nicht zur Hand nehmen, aber schließlich ist er ein Geschenk von dir, und so nahm ich ihn trotzdem. Es war ziemlich schwierig, ihn anzuspitzen, ich habe mir sogar in den Finger geschnitten. Dann hatte ich die Vorstellung, daß man mir mit genau so einem Bleistift die Augen ausstechen würde. Von diesem ganzen Unsinn habe ich dir gegenüber nichts erwähnt, sondern schreibe den blöden Traum nur auf – verzeih mir bitte, dabei liebe ich alle deine Geschenke, besonders das Zwerglein und das Rädchen, also sei bitte nicht beleidigt, sei bitte, bitte nicht beleidigt deswegen – ich werde mit der Zeit auch deinen Bleistift mögen und nur noch mit ihm schreiben. Heute ist es sehr kalt …« Auf dem Tisch liegt ein Briefumschlag. In ihm befinden sich geordnete Reihen akkurat ausgeführter Buchstaben. Laternen brennen. Es regnet feucht. Die zitternden Fenster in Blutlachen wabern. Ins durchgeschlagne Blicken träuft Die Nacht auf nasse graue Fasern. Sie stand, durchfeuchtet, mit mir auf. Und streicht mit kalten Händen glatt. Hinter meinem Rücken rauft Die Leere, verwundend, und rüttelt mich wach. Durch jeden dumpfen Spalt der Wand Jagt, der blinde Nässe schenkte, Der Wind, und hat sie übermannt Mit allem, was ihr mein Träumen verhängte. Sorgfältig unterstreiche ich die Zeilen, eine nach der anderen, während mein hölzerner Pelz zittert und das Gehirn in diesem hölzernen Pelz rhythmisch klopft; meine Gedanken finden keinen Ausweg, nicht einmal einen Platz. Das Blatt Papier liegt eingezwängt zwischen meinem spitzen Schnabel und einer Scheibe, die rutschig und ein bißchen feucht ist. Die Spitze weicht auf, schleift sich ab. Ihre Finger sind feucht vor Tränen. Meinem Fell werden bald die Haare ausgehen. Die Farben verblassen, die goldene Schrift auf der Seite reibt sich ab. Schade, daß ich kein Kopierstift bin. Was ich schreibe, ist nicht für die Ewigkeit gedacht. Nicht für ewig, nicht einmal für lange. Nehmen wir zum Beispiel dieses Gedicht – es wurde mit Tinte geschrieben und die Tatsache, daß ich es unterstrichen habe, besitzt keine besondere Bedeutung. Morgen kann sie ihre Meinung schon ändern und meine grauen Überreste auslöschen, während das Gedicht bleiben wird. Er ist ein Sohn des Morgensterns, mein Stern liegt tief im Inneren verborgen. Mein innerer Stern ist länglich und strahlt nicht sehr hell. Er hinterläßt eine Spur, deren Sichtbarkeit von der Stärke des Andrucks abhängt, davon, wie stark man mich verstummelt, sein Lichtschein ist proportional meinem Schmerz. Mein Stern trägt keinen Namen, keiner kann ihn Venus nennen, oder auch sonst wie. Er verringert sich, verstreut sich, verläßt mich in kleinen Stücken. So klein ist er … die Spannungen im Glas zeigen ein schiefes Lächeln … die hölzernen Seiten knirschen … Ich habe gelernt zu flüstern. Und obwohl man es über mir nicht hören wird, scheinen es die Finger wahrnehmen zu können – als kleine Hintertreibung, als eine Unterbrechung im Fluß der Gedanken, die aus dem Kopf kommen, – und in die Pause dringt wie ein Keil meine Rede hinein, die den Ohren wie ein simples Rascheln vorkommt. Sie unterbricht für eine Sekunde, und, als sie sich schon anschickt, »Komm doch« niederzuschreiben, entsteht eine Minute der Stille, in der die Finger führerlos bleiben und, da sie gewöhnt sind, aufs Wort zu gehorchen, schreiben sie das, was ich ihnen einflüstere. Insgesamt nur eine kleine Abwandlung, drei Buchstaben. Als sie ihre Augen öffnet, liest sie: »Komm nicht«. Wie gerne hätte ich hier ein Ausrufezeichen gesetzt, zumindest einen Punkt! Doch ihre Finger umklammerten mich so fest, zitterten dermaßen vor Anspannung, daß es ihr gelang, ein »heute« anzufügen. Wegen mir wird er heute nicht kommen. Gedankenvoll kaute sie auf mir herum, ich ertrug es mannhaft. Und auch wenn nicht – mein Stöhnen hätte sie ja doch nicht beachtet. Vor Zeiten war es mir angenehm, ihre weißen, gleichmäßigen Zähne zu erblicken. … Jetzt habe ich die Welt der Menschen verlassen. Ich verstehe nicht mehr, warum ich dieses unmögliche Geschöpf lieben konnte. Ich habe mich in das Papier verliebt. Immer häufiger schreibe ich Liebesworte. Anerkennend raschelt das Papier zur Antwort – auch ich gefalle ihm. Ich habe gelernt, Rücksicht zu nehmen, nicht so schmerzhaft aufzudrücken, – es ist sehr verletzlich. Es muß jede beliebige Niederschrift ertragen, jede Niedertracht und darf kein Wort von sich weisen. Ich bemühte mich, dergleichen nicht mehr zuzulassen. »… ich liebe, o wie ich dich liebe, ich fühle nur Zärtlichkeit für dich und sonst gar nichts, alles betrachte ich mit deinen Augen, stelle mir vor, wie du Musik hörst, woran du denkst, wenn du schläfst, du – …« Das Papier rollte sich zusammen, umarmte mich und flüsterte: das tue ich auch, auch ich, wach doch auf. Der Sinn seiner Bitten drang nicht mehr zu mir. Ich setzte mein Liebesrascheln fort, – wenn sie mich doch bloß nicht von meinem geliebten Papier entfernte. Was waren wir doch für schutzlose Geschöpfe! … krampfhaft drückten mich die Finger zusammen, gaben mich plötzlich frei und ich rollte über die Schreibtischoberfläche. Unter mir rollte meine Widerspiegelung. Nachdem sie mich freigegeben hatten, stürzten sich die Finger auf das Papier; über mir ertönten rhythmische Schreie, die mir irgendwie bekannt vorkamen. Durch das regelmäßig sich wiederholende schreckliche Geschrei hindurch, das lawinenartig auf mich niederging, vernahm ich das Rascheln von Blättern, die gerade zerrissen werden. Mein Liebchen! Du wirst in Stücke gerissen und ich kann nichts machen! Ich könnte dieses Ungeheuer weder davon abhalten, noch ihm eins verpassen – mit der Spitze in die Augen. Ich kann nicht einmal verhindern, daß ich immer näher an den Abgrund rutsche – der traurige Moment des Gleichgewichtszustandes vor dem Untergang – dann stürze ich in die Tiefe … … Irgendwas in mir ist zerbrochen. Das Graphit wackelt wie ein kariöser Zahn. Als ich noch ein Zahn war, schlug man mich mit einem Stock. Woher kommt sowas? Man fängt an, in Stücke zu gehen: schreckliche Tragödien beginnen. Aber so, als wären sie gar nicht schrecklich. Es hatte etwas mit dem Papier zu tun, mit irgendeinem Brief … der Kontakt riß ab – ging in Fetzen … als ich eine Vase war, bewahrte ich herrliche Rosen auf. Daneben stand ein junges Wesen und atmete ihren Duft ein. Das Wesen erzitterte, und riß mit zitternden Händen einen Umschlag auf. Das Wesen schrie auf, prallte mit dem Kopf voran auf den Tisch und schlug mit den Händen um sich. Die Hände trafen schmerzhaft mein Glas und ich kam aus dem Gleichgewicht … verlor das Gleichgewicht … dann: gluckerte das Wasser aus mir heraus, ich zerscherbte auf den feuchten Fliesen des Parketts, der Ort meines Untergangs war mit leuchtend roten Rosen geschmückt. Hellbraune Schuhe trampelten wütend auf den Blumen herum. Noch im Sterben versuchte ich die Sohlen mit meinen Scherben zu durchstoßen … »… daß du in Liebe zu mir entbrannt bist. Doch kann ich mich darüber freuen? Ich habe Angst. Ich fürchte mich, dich zu lieben, es ist eine so zerbrechliche Liebe, und wird es mit ihr ein gutes Ende nehmen? Als müßte man die ganze Zeit mit dem Schlimmsten rechnen, mit dem Tod. Ich kann dich nicht noch mehr lieben, wie du es verlangst, – weder stärker noch schwächer. Du schreibst »das Feuer der Liebe«, und ich denke nur daran, daß man durch diese Flammen umkommen kann – …« … Mir kommt es so vor, als wenn irgendein Außenstehender meine Gedanken wegschnappt. Einige von ihnen, die noch kaum geboren sind, treffen auf einen solch ungestümen Widerstand, daß sie genötigt sind zurückzutreten und sich zu verbergen, ja sogar völlig zu verschwinden. Andere dagegen werden zärtlich untergehakt, als würde man sie bei der Hand nehmen und eine Prunktreppe hinaufführen, dabei sind gerade diese ziemlich anämisch, oder diese Treppe führt geradewegs ins Nirgendwo und bei dem ganzen handelt es sich um einen schlechten Scherz – gerade hier hätte man anhalten und sich bedenken müssen, aber die Geschichte beginnt wieder von vorn: Kugel links – Kugel rechts. Stimmen im Dunkel: » – dank mir fandest du deinen Weg in die Literatur. – Ja, aber was ist das denn für eine Art? Wir gingen diesen Weg zusammen, teilten alles, und plötzlich springst du auf und verriegelst die Tür mit dem Schlüssel. Mit eben diesem Schlüssel hast du dann »Literatur« eingeritzt. Dabei stammt er aus meiner Tasche. – Doch dank mir …« Die Stimmen verstummen. Ich atme freier. Es hämmert in meinem Schädel: Du bist mir nicht fremd. Wir stehen uns ziemlich nah. Schlage die folgsamen Tasten, spann die mechanischen Muskeln, doch mich … Schneide Späne von mir ab, zwölf feine Pfeile, stelle sie im Kreis auf und zünde sie an – der Weihrauch der Gedanken schlägt in die Nüstern, beißt in die Nase – halt es aus und du wirst bei jedem einzelnen die geistreiche Sphäre des heimischen Regenbogens erschauen. Stelle deinen Kopf in ihre Mitte – so, daß alle zwölf Kerzen gleichzeitig deine Haare berühren, – und, solange das Aufleuchten anhält, wirst du alles das hören, was du immer hören wolltest. Ich bin der Lichtstrahl in einer Welt, die erstarrt ist, einer harten, bissigen Welt, die in der Lage ist, sich die Augen auszustechen und das noch als Erleuchtung zu empfinden. Ich bin ein Diamant und du eine ungewaschene Riesin. Keiner wird siegen, alle wurden betrogen. Ich ziehe es vor, ein Quälgeist zu bleiben, – dein Spiritus rector. – du hast da etwas durcheinander gebracht, es ist alles genau umgekehrt. Auf der Rückseite gibt es nur durchgedrückte seitenverkehrte Zeichen, in denen du alte Bekannte erkennen kannst, wenn du dich nur bemühst. Vergangene Buchstaben, die verdreht und ihres Sinnes beraubt wurden. Die Punkte sind durchstoßen. Ich war zu sehr in Eile. Ich bin deine Rechtfertigung. Mehr kann und will ich nicht sein. Kein Tag ohne eine Zeile – so lautet meine jetzige Devise. Das ist kein Grund sich zu wundern, eher einer, um Wunden zuzufügen, dazu müßte sich aber erst jemand finden. Es ist keine Devise, sondern grauer Alltag. Es vergeht kein Tag, an dem du nicht eine Zeile schreibst, und, folglich, mich zur Hand nehmen mußt und, ergo, ich das alles lese, schreibe und raschele. Ich bringe mich zu Papier. Aber dann werden die Blätter verbrannt. Es duftet nach Rauch. Tränen fallen aufs Parkett. Ich bin verunsichert und angewidert, falle in Hysterie, verknackse mir den Graphit, unterdrücke das Ungesagte. Während du versuchst, dich selbst zum Ausdruck zu bringen, löst sich mein Kern in seine Bestandteile auf. Längst nicht mehr so leidenschaftlich hacke ich auf das Papier ein. Ich bitte darum, mich bei ihm anlehnen zu dürfen, um mich, den Erschöpften, von den Qualen zu erholen. Im Traum schwebt der Absatz deines Schuhs über meinem Kopf. Wie nah sind die Lippen. Zwei riesige, rote Mollusken, die mein Schlußstück bespeicheln, ablutschen. Nachdenklichkeit. Ich liebe es, an einem stillen Sommertag durch den Wald zu spazieren. Ich liebe es, im regnerischen Oktober nach Hause zu eilen. Sie glaubt wahrscheinlich, daß mir der Geschmack ihres Speichels angenehm sei, das Reiben ihrer Zunge. Sie glaubt … Es ist wichtig, im Gleichgewicht zu bleiben, wenn das Leben am seidenen Faden der Rasierklinge hängt. Sie könnte sonst abrutschen und in den Finger schneiden (eigentlich keine üble Vorstellung). Das wäre schon bemerkenswert, eine Selbstbestätigung für Hölzchen und Stöckchen (es ist wichtig, im Gleichgewicht zu bleiben). Der Widerspruch zwischen Graphitkern und Holz. Das gegenseitige Schweigen zweier untrennbar Verbundener (voneinander getrennt, verlören wir Sinn und Zweck, obwohl der Graphitkern für sich genommen vielleicht noch für irgend etwas …) Aktuelles vom Tage. Er beginnt mit Folter. Ob man nun will oder nicht, gegen Abend stumpft man ab und das böse Erwachen am nächsten Morgen ist einem gesichert. Wie soll man dabei schlafen? Und dennoch irgend etwas Traumähnliches, irgendwelche verschwommenen Phantasmagorien überkommen mich nachts. Benommen vom Duft eines Parfums – ein nicht richtig verschlossenes Flakon dringt mit aller Macht in meine Besinnungslosigkeit ein, – wenn ich doch die Tasche so durchstoßen könnte, daß es herausfiele und zerbräche. Es ist nicht ausgeschlossen, daß, wenn ich herausfalle, mein Verstand mich verläßt und ich ein hirnloses Stöckchen werde (aus dem sich nichts mehr herausschlagen ließe) und endlich aufhöre, diesen Grabesduft wahrzunehmen. Im Übrigen komme ich jetzt zur Sache. Schienen, Requiem. Man braucht sich nicht vorzustellen, daß unter den Rädern einer Straßenbahn etwas von einem übrig bliebe. Eine Symphonie für Straßenbahngeläute – wenn mich ein Komponist zur Hand nähme, schrieb er mit mir Noten, Pausen, Violinschlüssel und am Schluß dieses Geläut … Vor mir teilen sich die Schienen. Ich bin ein Ritter am Scheidewege. Der Scheideweg ist echt, der Ritter nicht so ganz. Wenn ich quer zu den Schienen läge, würde mich das Rad zerschneiden, zwei Hälften fielen zu verschiedenen Seiten … Sie hat mich in ganzer Länge, vollständig, auf die Schiene gelegt – hat sie das etwa bedacht? Als Ritter am Scheidewege erwies sich die Straßenbahn. Sie erhob sich vor mir (wie ein Blatt im Gras), aus der vorderen Tür stieg ein runzliger Alter aus, der einen Feuerhaken in Händen hielt, und bestimmte den Weg, indem er die Schiene umstellte; die Schiene gab einen lauten Ton von sich, der Alte kickte mich mit seinem Stiefel in den Schmutz und verschwand. Mit den Fingern auf etwas javascript:Zeigend, schaute man aus dem Fenster – dort gab es irgend etwas aufregendes, ein Kampf fand statt, eine Flasche knallte auf den Asphalt, ein Mann fiel auf die Schienen, eine Hand wirbelte verzweifelt herum. Über den Mann beugte sich ein anderer, voller Wut, seine Hand zog einen mir nicht ganz unvertrauten Gegenstand aus der Hose, der diesmal aber nicht für mich bestimmt war. Im Gegenzug schloß sich die Hand dessen, der zu Boden gegangen war, und ich fand mich in seiner Faust wieder. Die Hand flog dem Wüterich entgegen, ich drang in die Dunkelheit seines Gehirns ein, in Höhe meines Gürtels kreiste ein menschliches Auge. Das Hirn zischte leise etwas, als ich es wieder verließ. Das Auge war mir von früher her gut bekannt, ich versuchte mich zu erinnern, wo wir uns schon mal begegnet sein könnten. Es fiel mir nicht ein – seine Unbeweglichkeit störte. Es kam mir so vor, als wenn das sterbende Gehirn ein Signal schickte. Da hörte ich doch wahrhaftig – »zurückkommen – aufschreiben … zurückkomm … – aufschrei …« Ein fremdes Leben hatte sich in meine verschlossene Existenz gedrängt. Eigentlich war ich in irgendein Leben getreten und, weil ich zu spitze Bemerkungen gemacht hatte, mußte ich es wieder verlassen, kühlte ab, an der Graphitspitze, zog mich in mich zurück und wurde sehr traurig. Die Straßenbahnen glitten über die Schienen. Mir fiel ein, daß ich jetzt gerettet war, erinnerte mich auch an viele andere Dinge. Einmal wollte ich ihn umbringen (wegen einer bestimmten Person). Das ist nichts besonderes, viele wünschen sich das. Jetzt ist der vergessene Traum in Erfüllung gegangen. Wie seltsam! Hunde pinkeln, springen weg, fletschen ihre Zähne angesichts der Straßenbahn, die mit runden Zähnen auf den Schienen knirscht, die, übrigens, trotz allem … Das Holz friert in der Blutlache fest … Nacht und Sterne … Aufjaulen, Gewinsel … Kater erforschen die Kratzwunden auf meinem Nacken, belecken sie, ziehen verächtlich die Stirn in Falten und suchen das Weite. Während sie sich davonstehlen, stellen sie Überlegungen über mich und den Bleistift im Allgemeinen an – sie ziehen lächerliche und banale Schlüsse, die ungenügend, unausgegoren und sogar unerlaubt scheinen. Darf man denn so über mich denken? Mir scheint, daß nicht. Und im selben Moment kommt ein Gestotter, genauer gesagt ein Gestolper über mich. Ein Mann verhaspelt sich und schlägt mit dem Schädel auf die Schwellen. Unverschämtheit. Stöhnt, kühlt aus, steht nicht mehr auf. Wer hat ihn gebeten, über mich zu stolpern? … hungrig … frostig … Folglich – … und Fett …. gezogene Bilanzen, Togen – nicht dieses, nicht jenes … He, und Ihnen? … tuck-tuck – kommen se rein, keine Angst … hier droht kein Kampf – hier kann es sich jeder Dahergelaufene zwischen den Schwellen gemütlich machen, wie zu Hause. Einem toten Manne kann man nicht mehr die Stimmung versauen, es fällt nicht einmal leicht, ihn zu ärgern, sorglos schlafende Hunde soll man nicht wecken – wer mit einem Erdhaufen bedeckt ist, der kann sagen: der Mund fließt vor Sorgen über, denken sie doch mal nach, ob ihre Fürsorge wirklich von Nöten ist, und wenn, dann – wem … so als wenn du mich gehört hättest, obwohl ich stumm bin wie ein Bratfisch, der zwei Tage auf Eis gelegen hat, so eine Stummheit muß man erst finden … so als wenn du gehört hättest, hebst du den Kopf und, erst schwankend, setzt du deinen Weg fort (in die katzengleichen Fernen). Ich verstehe nicht, wie es dir gelingen konnte, aufzustehen. Schleich dich, bleib nicht stehen – und so … und – Fett … Er wurde langsam dunkel, der Schnee fiel mit Getöse. Krachend stürzten die lockeren Sechsflächler herunter und brachen die Lichtstrahlen. Die Dunkelheit funkelte vom Schmerz der plattgedrückten Geschöpfe der Harmonie, von denen es ziemlich viele gab. Ich war ganz allein unter ihnen. Das stärkte meine Selbstachtung. Sollte ich auch zerbrochen, zerkratzt, mit Blut durchtränkt sein – ich war einzigartig, unwiederbringlich! … (genau so hatte auch die zerbrochene Vase geurteilt). |
Teil 2Das reinigende Fegefeuer lassen wir aus. |
Teil 3»Ein Stift, der keine Buchstaben schreibt, taugt nichts.« Zur Hölle mit euren Lehrsätzen! … – Verzeihen sie bitte (in der hiesigen Sprache »vesibi«), daß an einer solchen Stelle … Jedoch, jetzt beginnt die Operation »Ze-Zu-Er«. Zeit Zum Erinnern: Nagellackierung, der stumme Schrei des zerknüllten Papiers, das vortodliche Knirschen der Zähne des Einäugigen (in der Minute des Todes war er einäugig) und sowe. Der Umgang mit dem Papier lehrte mich wirkliche Zärtlichkeit – jene, die keine Spuren hinterläßt. Heute hängt alles von meiner Fingerfertigkeit ab (wieviele Qualen es für mich bedeutet hat, hier anzukommen – siehe: Teil 2). Hier erschien es, das wundervolle Geschöpf: weiße Flügel, zerstreuter Blick, beinahe durchsichtige Finger. Einmal, obwohl es mich, den stolzen Abtrünnigen, nur eines mitleidigen Blickes würdigte, zerstörte es sich auf ewig die Karriere. Die Millennien der Kanzleiarbeit (Mitleid mit Exilanten wird streng bestraft) hatten ihm nicht die Fähigkeit zu träumen genommen, – die ich für meine Zwecke benutze (mir fehlt noch etwas – im ganzen ein Buchstabe; einmal war es mir gelungen, aus eigenem Antrieb ganze drei niederzuschreiben, jetzt darf ich das NICHT einmal bei einem. Ich bin mir völlig bewußt, daß es sich hierbei um eine grausige Rache handelt, ich nutze meine Verbindungen zu allen Kanzleien …) … Durch die Erdschichten drang ein dunkelroter böser Lichtschein zu den Fenstern des ängstlich dahinjagenden Waggons und Schreie wurden hörbar (auf dem Nevskij findet ein Fackelumzug statt, »Fuck-Umzug« – dachte sie abkürzend, ihre Englischkenntnisse einsetzend). Schrecklich war alles das, was die übrigen in den Grenzen des Gewohnten erblickten, und außerdem hatte sie die Bezeichnung der folgenden Station vergessen, und das versetzte sie in eine unerträgliche Stimmung der Unruhe. Sie wandte sich an den Nachbarn – der war bis zum Umfallen besoffen, ein Drittel seines Lächeln erstreckte sich ins Leere. Sie blickte herum: zwei junge Leute wandten sich erschreckt zur Seite, eine Alte zog dämonstrativ die Stirn in Falten (ältlich-dämonisch), die anderen schauten in einer Mischung aus Mitleid und Hochmut um sich. Der Zug hielt. Die Türen öffneten sich. Die Leute stellten sich abwartend in Positur, so als wollten sie sie hinausstoßen. Sie tat einen Schritt. Blieb urplötzlich stehen. Gegenüber – eine schrecklich bekannte Bezeichnung, bekannt bis zum Schrecken. Die Erkenntnis war noch nicht herangereift, als der Gegenzug unter lautem Getöse die Aufschrift verdeckte. Aus irgendeinem Grunde fuhr er durch, ohne stehenzubleiben. Die Türen waren immer noch offen, alle warteten, durch den Zug ging ein leises zittern. Ohne die Augen zu heben, ging sie hinaus. Ein Buchstabe fehlte. In die Gartenanlage der Metrostation SADOVAJA war ein teuflisches Element getreten, ADOVAJA, die Höllische. Absurd, und noch dazu morphologisch falsch. Vielleicht war eS einfach abgefallen, oder … Die Lampen verlöschten. Sie öffnete den Mund und gab dem Schrei nach, der sich in ihr angestaut hatte. Der dumpfe Schrei eines Tiefseefisches. Schwer atmend, eilte sie hinauf zur Oberfläche. »… und gestern wieder dieser Traum: ich versuche den fehlenden Buchstaben zu ersetzen, aber der Bleistift rutscht nur über die Wand, und wenn ich versuche, stärker aufzudrücken, wenden sich die Hände gegen mich und schlagen mir mit dem angespitzten Ende ins Gesicht … Und die ganze Zeit muß ich daran denken, daß ich dein Geschenk in Händen halte, ohne etwas mit ihm anfangen zu können, nicht einmal wegwerfen kann ich es, nicht einmal aus der Hand legen, nicht einmal …« »… ich kann dich nicht mehr verstehen – warum diesen Alptraum endlos wiederholen? Du mußt dich mal richtig ausspannen, nicht lesen, nicht schreiben, vor dem Schlafen ein bißchen spazieren gehen und alle Tätigkeiten so lange aufschieben, bis diese Halluzinationen aufgehört haben. Du mußt dich von diesem Unsinn in deinem Kopf befreien, wirf den Bleistift weg, das Papier und alles, was dir unangenehm erscheint. Keiner hindert dich daran, in ein Geschäft zu gehen und dir das auszusuchen, was dir gefällt. Und, außerdem …« »… ich weiß nicht, ob Sie sich an diesen jungen Seufzerkönig erinnern, der sie immer mit Rosen überschüttet hat, und der dann auf Nimmerwiedersehen verschwand, als sie seinen Strauß in alle Himmelsrichtungen verstreute. Ich habe sofort bemerkt, daß sie von dem Tag an nicht mehr sich selbst war, und jetzt sagt sie, daß, sobald sie zu schreiben anfängt, alles in seiner Handschrift zu Tage tritt – daß bildet sie sich nur ein, nichts weiter; anscheinend hat er ihr nur ein paar Zeilen geschrieben, und sie tut so, als würde sie seine Handschrift noch kennen. Sie müssen Ihren Einfluß bei ihr geltend machen, Sie sind ein positiver Mensch, sagen Sie ihr, daß sie …« »Da habe ich was verbrochen«, – ertönte es irgendwie mechanisch in meinem Innern. Bedeutungslose Worte. Ein Stummel, der lange Zeit nutzlos in einer Ritze gelegen hatte, quietschte unter Aufbietung aller Kräfte: »In den letzten Jahrzehnten hat der Holzgedanke einen großen Schritt vorwärts gemacht …« Es gab keine Möglichkeit, ihn aus seiner Lage zu befreien. Er befand sich irgendwie zwischen Müllhalde und Museum. Nach meiner Klassifikation zählte er eher zu denen, die auf der Halde gelandet waren. »Das Schicksal war böse mit ihm verfahren«, – entschied ich, und quietschte vor lachen. Welchen Begriff von Bösartigkeit konnte ich noch haben, nachdem ich … Das Papier ging durch die Instanzen, flatterte von Tisch zu Tisch, irgendwer wollte irgendwas klären, Dutzende Geisterhände zerrten an dem Zettelchen herum, doch währenddessen … um so mehr, als es keinerlei Möglichkeit mehr gab, es aufzuhalten … »… ihr Wahnsinn liegt auf der Hand. Jede Nacht phantasiert sie, macht irgendwelche Zeichen in der Luft, weint. Ich weiß nicht, wie man ihr helfen könnte. Wenn Sie es natürlich anders sehen, werde ich sie nicht in eine Heilanstalt einweisen lassen, obwohl ich keinen anderen Ausweg sehe. Wie man so sagt, glücklich sind jene, die da glauben können. Ihnen ist es ersichtlicher. Sie hat die fixe Idee, daß sie mit der Metro fährt und …« War ich schon befriedigt, bestand ich nicht länger auf meiner Rache? Schon lange hatte ich keine Wangen mehr, obwohl ich mich bis zu diesem Zeitpunkt an die Schrammen auf ihnen erinnern kann und an die umherfliegenden Blütenblätter, von denen eine auf den Lippen hängenblieb, fast hätte sie aufgelacht – und noch weiter auf mich eingepeitscht … Sind es denn nicht meine Ausgeburten, die unter ihrer Schädeldecke ihr Unwesen treiben, zudem kann ich ihr jeden beliebigen Alptraum einblasen – im übrigen reicht es jetzt. Es wird Zeit, sie wieder ins Leben zurückzubringen, sonst übertreibe ich die Sache noch. Und in die Klapse wollte ich sie nicht bringen. Es wird Zeit, nach oben zu kommen. Die Entscheidung war ziemlich unausgegoren, und – hatte es denn einen Wert, die Quälereien zu wiederholen? Und ein neues Gefühl trieb mich vorwärts: zwischen ihr und dem Papier gab es keinen Unterschied. Die Zärtlichkeit, die ich zu der reinen Oberfläche empfand, die meine Zeilen streichelte, und die, ungeachtet dessen, in ihren geheimen Tiefen unberührt blieb, – die Tiefe des glatten Blattes ließ bei mir keinen Zweifel, daß nur der oberflächliche Blick nicht fähig war, unter die Oberfläche zu schauen – und siehe da, diese Zärtlichkeit strahlte auf sie zurück, und in ihren Tiefen – welch erschütternde Entdeckung! – erkannte ich eben diese Reinheit. Kurz gesagt, entschloß ich mich, den Buchstaben, der zu ihrem Glück noch fehlte, hinzuzufügen, um das, was sie so schrecklich zerquälte, in einen Garten zurückzuverwandeln, aus AD, der Hölle, wieder SAD, den Garten zu machen, einen blühenden zudem am Ufer eines glasklaren Flusses: es genügt schon, eine Schlangenlinie zu beschreiben. Beim zweiten Mal gelang mir die Reise vergleichsweise einfach. Der trübe heiße Dampf, die peinlichen Befragungen, die Labyrinthe mit den Sackgassen und Fallen – alles das war schon bekannt. Natürlich verlor der Vorgang seinen einstigen Glanz für mich, doch ich fühlte mich selbstsicher und verspürte keinen Zweifel an meiner Kraft. Etwas mit träumerischer Hand vollbringen – was könnte einfacher sein? Dumme Selbstbeweihräucherung! Ein alter Affe rieb sich, um jünger auszusehen, nachdenklich die Nasenwurzel. Nachdem er die unausgefüllten Anträge vorbereitet hatte, wirbelte er mit der Hand durch die Luft, als wollte er dirigieren, doch der Dirigent war ich – und die Hand landete schwungvoll auf dem benachbarten Stapel, wo die bereits ausgefüllten Anträge lagen, zwischen den sich jener befand, der dein quälerischer Schicksal bestimmte. O, ich war gespitzt, mitleidlos durchstieß ich den ganzen Packen, obwohl schon die Hälfte genügt hätte – deiner lag fast obenauf – dies ganze Vielvölkergemisch, das sich zufällig gebildet hatte, erlangte dank mir einheitlichen Charakter, denn ich bildete sein Skelett, war der Dreh- und Angelpunkt, das absolute Zentrum, kein einziger der Anträge hätte sich ohne meine Erlaubnis rühren dürfen – die Bedeutsamkeit meiner Person ließ keinen Zweifel laut werden. O diese süßen bewegenden Momente. Ihre Großartigkeit überdeckte fast den dumpfen Schmerz – ich erhöhte meine Aufmerksamkeit – ein dumpfer Schmerz! Das spitze Ende war abgebrochen! Bevor ich nicht wieder angespitzt werde, bin ich so etwas wie impotent. Die minutenlange Panik ging schnell vorbei. Ich konnte alles erreichen, was ich wollte. Die Augen richteten sich verwirrt auf den Stapel, den ich durchstoßen hatte. Der romantische Balg wird alles noch einmal schreiben müssen, das Formular mit dem fehlenden ersten Buchstaben im Abschnitt »Wohin« landet im Papierkorb und mein Ziel ist erreicht: beim Abschreiben wird er aufmerksamer sein und alles so ausfüllen, wie es angebracht ist. (Und auch ich werde mich bemühen, – versuchte ich hinzuzufügen, obwohl ich keine große Hoffnung hatte, daß der Balg mich anspitzen würde, denn ich konnte auf dem Schreibtisch eine ganze Schachtel mit Stiften ausmachen, anscheinend bunte. Im Prinzip ändert das an der Sache nichts – beim letzten Mal hatte er den Abschnitt im Standardverfahren ausgefüllt, nur daß ich, ohne Spuren zu hinterlassen, über das Papier rutschte, jetzt aber …) … Bei den Buntstiften ging das Symposium weiter. Der Gelbe: Der Sinn und Zweck unserer Existenz besteht darin, die farblose Welt zu verschönern. Der Schwarze: Im Dienst an den höheren Wesen, die einzig in der Lage sind, uns einen Sinn zu geben. Der Grüne: Bekannt ist die Erfahrung, in der es zu einem umgekehrten Verhältnis kommt: gerade der Stift verlieh dem Geschriebenen den eigentlichen Sinn, indem er die federführende Hand ganz seinem Willen unterwarf. Unser Ziel ist es, die Umwelt zu unterwerfen und die Muskelkraft der Finger nach unserem Gutdünken einzusetzen. Der Blaue: In unserer Daseinsform gibt es weder Sinn noch Zweck. Jeden Moment kann jeder von uns aus der Schachtel genommen werden und einer Messerklinge oder einem Spitzer unterworfen werden. Die Existenz dieser Gegenstände bringt uns um Sinn und Verstand, verwandelt uns in ewig Leidende oder in solche, die ständig auf Qualen gefaßt sein müssen. Letzten Endes verwandelt sich jeder in einen Haufen schmutziger Späne. Der Violette: Aber es bleibt doch das Wort, das wir geschrieben haben … Der Rote: Doch, o weh, nicht von uns, verehrter Kollege! Der Weiße: Der Stift ist ein Ding an sich. Seine Existenz genügt sich selbst, er bedarf weder der Anspitzung, der Finger, noch des Wortes. Sinn und Zweck des Stiftes sind in seinem hölzernen Körper eingeschlossen. Äußerlicher Rechtfertigungen bedarf es nicht. Der Blaue: Aber, verehrter Kollege … So dachte auch ich. Der Affe nahm aus der Packung offensichtlich den schwarzen Stift, begann die beschädigten Blätter durchzulesen, war sehr ernsthaft, mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Jedes einzelne Blatt nahm er sich vor, studierte es, schlug in einem Hauptbuch nach, kam schließlich zu meinem Blatt. Drehte es um, legte es zur Seite. Was sollte das bedeuten? Ich spannte meine Kräfte an, ein Stück Graphit fiel aus dem angebrochenen Schnabel. Er biß sich auf die Lippen, zuckte mit den Schultern und … schrieb es wieder so hin, wie es vorher war. Der Teufel soll ihn holen! Hirnloses Geschöpf, Traumtänzer! … Der Zug jagte schneller als gewöhnlich dahin. Die schrecklichen Buchstaben erschienen kurz auf den Wänden. Für einen Moment schien es so, als ob … Nein! Der Zug jagte über den schwarzen Ring und die dumpf glänzenden Buchstaben wiederholten sich bis in alle Ewigkeit. Andere Stationen gab es nicht mehr … … und zwei Fotografien, die ich zum Zeitpunkt des Durchstoßens gar nicht bemerkt hatte. Ganz von selbst waren beide durchlöchert. »Die Sache zweier Liebender«. Der Einschlag hatte sie in die Stirn, ihn im linken Auge getroffen. Fast durchsichtige Finger befestigten beide (mit einer Büroklammer) langsam an dem neuen Formular mit dem alten Scherz. Der Engel beugte sich zurück und, in der Haltung eines Erholungsbedürftigen, begann die Rückseite eines der beschädigten Formulare mit Wortspielchen zu überziehen. Er hatte das Gesicht eines ungeübten Liebhabers von Kreuzworträtseln. »Gent – Agent (des Teufels)«. Begeistert runzelte er die Stirn. »Ukas, Ukas, Ukas – Sausack, Sausack, Sausack«. »Absurd – Obers«. Er wurde rot, flatterte mit den Flügeln, schaute um sich. Aus Zerstreutheit legte er das Blatt zu den ausgehenden Dokumenten. * * * Dumpf, dumm. Aus den Torflügeln des Straßenbahndepots trat der Hausmeister. Zusammen mit einem Päckchen bestehend aus Zigaretten, getrocknetem Laub, durchgerotzten Taschentüchern und einem durchlöcherten Fausthandschuh verbannte man mich auf einen großen Müllhaufen. Der Haufen dampfte. Alle sahen ungefähr gleich aus. Sie krochen in den Haufen hinein und begannen zu einer gleichförmigen Masse zu faulen. Während er sich gleichmäßig hin- und herwiegte, zündete sich der Hausmeister an einem halbverfaulten Holzstück nachdenklich eine Zigarette an. Er rauchte verträumt und träge. (Er hatte das Gesicht eines ungeübten Liebhabers von Kreuzworträtseln.) Den Fragmenten nacheifernd, flog ich hinauf – mit den grauen Strömen, den Bändern, den Schnörkeleien. Ein Teil von ihnen fiel sofort ab, verbreitete sich auf dem Boden oder versickerte in den gelben Wiesen. Ein anderer Teil setzte sich in den Bart des Hausmeisters, in seinen langen Pelzmantel. Einige hatten sich losgerissen und flogen empor, so als wollten sie – obwohl sie damit keinen Erfolg hatten – ihre Flügel beschmutzen. Das ist natürlich die dreckige Bemerkung eines Griffels, der jetzt auf sich selbst angewiesen war und, bis aufs äußerste erhitzt, nicht untergehen wollte. Er war zwar nicht verbrannt, doch unendlich zerstückelt – das, was nach so vielen beschriebenen Seiten übrig blieb. Er fühlte die Verbindung mit jedem seiner Worte, ihre physische Existenz, unabhängig davon, ob ihm das Geschriebene gefiel, pulsierte das verstreute Bewußtsein, vom Zentrum, vom Körper und allen Absichten getrennt, trotz aller mystischen Verbindungen zu deiner durchstochenen Handfläche, so als hättest du dich irgendwie schuldig gemacht, siehst du seit gestern völlig hilflos aus, und ich weiß nicht, woher es kommt dieses … * * * … Griffelebenbild. Sündenfall. Sündenvertilgungsfirma »Hölleden«. Griffelfall im Sündensturz. Ein Herumkrümler, ein Buchstabenverströmer, so einer bin ich. Mein Engel ist, bedauerlicherweise, kein Engel. Die bunte Jalousie rauscht rasselnd nach oben. Deine verstörte Fresse hängt sich aus der Lüftungsklappe raus, saugt sich mit Luft voll, die über dem Asphalt hängt, hängt sich daneben, vibriert darin und – verzieht sich akkurat durch dieselbe Öffnung. Ach, warum hast du mich verlassen? Du verließest mich, buchstäblich und schmerzlich, mit der Erdramme ins Trottoir gestampft, hast mich auspendeln lassen, versbissig, ach, deine Zähnchen! och, deine Lippen! (umgekehrt – Zähne och, Lippen ach, Arme uch, mich um rum). Eine allesumfassende Schwermut. Ein universaler Schnupfen. Eine kosmische Erkältung: einfach dorthin, einfacher als zu niesen. Hatschi! Das Universum niest mich an. Mir gefällts – ihm nicht. Nieste mich aus irgendeiner schwarzen Notiz heraus. Mit einem Piepsen entsprang ich dieser boshaften, zänkischen Vettel, dem Weltall. Diese Welt wurde von jemand anderem ausgedacht – ich hätte mich nicht vorgedrängelt, nichts erjagt, bin kein Dogmatiker. Die alte Henne spielt mit dem Spinnrad Lebensfaden. Das Knäuel fällt, gerät durcheinander, die Alte würgt. Unter diesen Bedingungen muß man verschwinden oder schreiben, einen anderen Ausweg sehe ich nicht. Schrecklich wenn man euch durch mich zerreißen wird in meinem Beisein. Das könnte sich schlecht auf meine Nerven auswirken. Nennen wir lieber den Helden Vasja und schicken ihn los, sich mit der kapriziösen Freundin zu verständigen. Soll euch doch Vasja herauswürgen, dagegen habe ich nichts – ich – habe – nichts … (Was mache ich mit einem verwundeten Buchstaben?) Mit dem Messer zum Putzen der Fische, spitze ich meinen Finger an, der einen Fischschwanz umfaßt hält (ich spitze zufällig), und schreibe auf den Tisch – mit Seelenblut aus dem Finger meines Körpers. Den Weg überhöhter Assoziationen. Ein Engel stritt mit dem Teufel um eine sündige Seele. Der Teufel urteilte logisch: Gott, vollbringe ein Wunder! Gott hörte das, und flüsterte dem Engel zu: stehle! Der Engel stahl. Der gestohlene Geist saß im Sack. »Aus dem Streiten wurde ein Klemmen«, dachte er. »Ach, so!«, setzte er den Gedanken fort. Santa Claus beeilte sich mit dem Geschenk. »Da ist sie, die Unvorhergesehene!« Sie gingen vorsichtig herum. Staunten: »Der Sack ist schwer!« Pjotr ging ran, band auf. Der gestohlene Geist gab ihn eins auf die Nase. Sei kein zynischer Schwätzer, lerne zu schätzen. Gebe dich in Teilen fort: Eßt meine Hände, dann auch den Kopf, Hauptsache, nichts überstürzen, sonst werdet ihr übermannt, geratet ins Staunen und bekommt mir noch Atemnot! – Lange Sekunden. Melodisches Grummeln. Das Schlagen pythagoreischer Flügel. Vasja gab Katerina den Bleistift. Zertreut warf ihn Katerina aus dem Fenster. Sie war ein unausgeglichenes Mädchen mit geflochtenen hellen Haaren. Vasja war bleicher als bleich. Er war verliebt. »Ach du, Verworfene«, dachte er, vorsichtig an einem Löckchen zupfend. Es war ihm schwer in Ketten. Quälerisch suchte er einen Ausweg. Quälerisch fand er einen Ausweg. Er ging gequält hinaus. Als er begriff, wieviel er verlor, trat er gequält wieder ein. Hinein, Hinaus – hinein, hinaus, hinein, hinaus. Der Bleistift machte einen Sprung, schlug schmerzhaft auf einer hölzernen Wiese auf. Alles ringsum war aus Holz. Durch irgendeinen Umstand war es ihm gelungen, in eine hölzerne Welt zu fallen. Rahmen, Türen, Wälder. Parkette, polierte Tische. Luxuriöse, gedrechselte Geländer. Gravuren. Die feinsten Einfassungen aus Spitze. (…). Schachfiguren. Und, natürlich, Stifte. Ein ganzes Meer bunter und – einfacher. Vasja, der Bleistift, zerplatzte in Stücke. Quälerisch wollte er, konnte aber nicht, im Ganzen aufgehen – es störte der innere selbstische Bezirk, über den herauszublicken Vasja, der Bleistift, sich fürchtete. Dort war er in einer vollständig hölzernen Welt, dort zupfte er an Katerinas Löckchen. Nein, kein Löckchen, – eine Locke, eine helle Schnecke, ein hölzerner Schnörkel. Gurru-gurru – murrten die Tauben, die über das Eis liefen – deshalb war die Wiese hölzern geworden! – dachte Vasjas Kopf – nachts war der Frost ausgebrochen! – setzte er fort, hin und herwackelnd – welche Überraschung! – rief er aus, ein durchdachtes Monogramm ausmalend – die Tauben störten – es störten die roten kalten Krallen, die widerwärtigen Knötchen und Pickelchen, die gewaltig, bemalt und mit hellem Lack überzogen waren. Vasja erstarrte. Wurde zur Säule. Etwas undurchsichtiges, unbewegliches, fremdes – erfüllte seinen Körper. Er versuchte, sich davon zu befreien – klatsch: ein Buchstabe! Buchstab-buchstab-bu-bu-sta-sta – was ist das? »K-A-T-J-A-I-C-H-L-I-E …« Er hörte noch rechtzeitig auf. Was weiter? Schnell, entscheide dich! – es tritt, es tritt aus dem Innern hervor! – uff. Es kommt, wie es kommt … klatsch: er sah, erstarb, erkaltete … Die Tauben hackten schmerzhaft, mit aller Kraft. Die Späne flogen zu den Seiten, bildeten eine eisige Arena, eine durchsichtige Rinde, unter der, das Maul aufreißend, ein Fisch schwamm. Wenn das Eis knirscht, fliegen die Tauben auf, dafür kommen die Fische. Es gibt fast keinen Ausweg – schon wieder dieses dämliche »fast« , immer mischt es sich ein und verlängert die Agonie. Vasja, der Bleistift, lag in quälender Agonie. Ein Gedicht in einem übriggebliebenen, ungestempelten Kuvert: »Im engen Kreis der Stille, wo kein Flüstern zu hören ist, kein Heulen, keine heraneilende Fliege, nicht das Knirschen der klebrigen Zeit, endete die Pantomime: eine blaue Zunge schaukelte, die Atmung hielt an, das Lid zuckte, immer seltener …« Vasjas dunkelblaue Zunge zitterte im kalten Wind, verwunderte sich die Straße. Immer seltener zuckte Vasjas rechtes Lid, die Straße verfolgte bedrückt das Verschwinden der Gewohnheit in den Augen. Der zerbrochene Bleistift rutschte aus der Tasche der zerdrückten Hosen heraus, zusammen mit einem benutzten Taschentuch, – und fiel, fiel, während er in die Luft Erklärungen skizzierte, die niemand benötigte. Hier die erklärende Notiz, die in der Luft hing, zum besseren Lesen in Versform notiert: Ein Stöhnen setzt in Unruh mich. Es weint der einsame Begleiter: »Der Himmel will und kann doch nicht Meine Anklagen verbreiten.« Der in Bann geschlagen ist, Kann sich schwer vom Trennen scheiden. Der Morgen rosenfarbig blitzt – Und schickte, fast wie ein Verzeihen, Dauergästen im Café, Koryphäen, unerschreckten: Durch die Lüfte Reime wehn, Finsternisse Wände deckten. Dort trägt man dem Ärmsten zu Jenes einseitige Lallen: Verkauf die Blätter und im Nu Wirst du niemals mehr verfallen. (Die Notiz ist nicht ganz genau: im Moment der Niederschrift ließen sich sowohl der Bleistift, der sie ausführte, als auch der Held Vasja auf die mit Eis- und Asphaltschichten bedeckte sumpfige Oberfläche der Erdrinde niederfallen, das heißt beide befanden sich im Untergang begriffen. Wir ergänzen: ein verhältnismäßig geringer Verlust, doch, wenn man eine Reihe von Umständen anführt, unter Berücksichtigung der vorliegenden Fakten, die solchen die Schuld zuschreiben, die solcherart nicht existieren, existieren, nicht existieren, ieren nicht ieren, nichtieren irgendwohin ieren, ühr-ühr, ren-rej, sauge den vergoldeten Teller der Wiese, mit einer eisigen Zunge belegt – obwohl das nicht zur Sache gehört, sondern eher zu dem Körper, der aus irgendeiner Etage aus äußerst eigenen Gründen gefallen ist und so weiter – das Leben ging in verschiedenen (und beschiedenen) Formen weiter: die kältestarrenden Endlichkeiten brechen zusammen, es beginnt die Unendlichkeit … ginnt nendlichkeit innt dlichk …) Dezember 1992 |