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[Rjurik Nerbeev]

Schreibwut

von Rjurik Nerbeev

 

 

Ich bin ein vollkommen talentloser, oder wie man heute besser sagt: talentfreier Schriftsteller. Deshalb habe ich auch nie den Hauch einer Anerkennung bekommen. Kein Mensch will lesen, was ich schreibe. Aber ich schreibe ja auch gar nicht. ES schreibt aus mir. Meine Talentlosigkeit will raus an die Oberfläche, will sich enttarnen. Und ich selbst komme nicht mehr von der Stelle. Ich werde buchstäblich bei lebendigem Bewusstsein zerrissen. Sehend gehe ich in den Freitod, oder wie ich besser sagen sollte: in den talentfreien Tod hinein. Welche Erlösung wird das sein, nicht mehr schreiben zu müssen. Denn ich muss, ich weiß selbst nicht warum, schreiben und schreiben und schreiben. Freunde von mir, die auch kein Talent hatten, schafften es, sich von ihren schriftstellerischen Ambitionen zu lösen. Ich konnte das nicht schaffen, weil ich nie Ambitionen hatte! Ich habe mir nie etwas vorgemacht, andern vielleicht, mir selbst nie, keine Sekunde lang. Immer wenn ich auf das blickte, was ich gerade geschrieben hatte, wusste ich sofort, dass es grottenschlecht ist, hottentottenschlecht, ach was, wozu die Hottentotten beleidigen, die allesamt weitaus besser sind, als ich. Kein Mensch kann mir sagen, warum ich schreibe. Kein Mensch mir abraten. Meine Überzeugungskraft andern gegenüber, dass ich ein Schriftsteller bin, ist enorm, überwältigend. In mir ist das Bewusstsein, das nicht umzubringende Bewusstsein, dass ich ein großer Künstler bin, natürlich verkannt, und natürlich dermaßen verkannt, wie es nur bei den größten Künstlern vorkommt. Dieses Bewusstsein aber bin nicht ICH. Ich weiß, dass es nur eine Fiktion ist, eine Erfindung meines Über-, Unter-, oder Zwischen-Ichs, meiner beleidigten Kreatürlichkeit.

Um schreiben zu können, richtig schreiben meine ich, müsste man die Menschen lieben, ihnen etwas mitzuteilen haben. Ich habe nichts mitzuteilen. Mir sind die Menschen vollkommen gleichgültig, beschriebene Blätter, denen nichts mehr hinzuzufügen ist. Meistens hasse ich die Menschen sogar. Besonders die erfolgreichen Menschen. Politiker, Showstars und andere Prominente würde ich sofort erschießen, wenn ich eine Waffe samt Gelegenheit dazu hätte. Dieses widerliche Pack mit ihren erfolgreichen Gesichtern, die trotz aller Schminke durch ihr breitmäuliges Grinsen nichts als die Widerwärtigkeit ihrer Besitzer preisgeben. Wie sie durch die Magazine und über die Bildschirme paradieren, unter dem Applaus oder dem Gegröle der Millionen Zuschauer, das verursacht bei mir körperliche Schmerzen: ein wildes Rumoren in der Magengegend mit leichtem Brechreiz ist dabei noch die niedrigste Stufe. An manchen Tagen könnte ich vor Zorn brüllend durch die Straßen laufen und alles niedermachen, das sich mir in den Weg stellt. Mein Psychiater meint, das wäre ganz normal, das ginge allen so. Er bekäme kaum etwas anderes in seiner Praxis zu hören, sagt er, und dass es eine einfache Heilungsmethode gäbe: einfach nicht einschalten, oder wenn eingeschaltet, dann die Kiste ausschalten, manchmal gäbe es ja auch Spielfilme, weshalb man nicht gleich in den Fernseher treten solle, obwohl es das Beste wäre. Mein Psychiater weiß natürlich auch keine Lösung für mein Problem. Sie sind unausgefüllt, sagt er, oder ein geborener Dichter, nur eben ein schlechter, müssen ja nicht alle geborenen Dichter ein großes Talent besitzen. Das Problem hätte die Psychiatrie eben noch nicht gelöst, sie wüssten nicht viel darüber, wie Talent entsteht und wie es sich bemerkbar macht. Außerdem findet er meine Sachen gar nicht mal so schlecht, sagte er einmal, dieser Heuchler, der doch nur mein Geld will, dieser verfluchte Kurpfuscher, der mir Tabletten verschreibt, die nichts gegen meine Schreibwut ausrichten. Zehn Seiten schreibe ich pro Tag! Für wen eigentlich, frage ich mich, da dies hier sowieso niemand lesen wird, weil diese Schweine von Lektoren meine fünfhundertseitigen Manuskripte vollkommen ungelesen zurückschicken. Alle zwei Monate schicke ich einen Roman raus. Jawohl! An die verschiedensten Verlage. Weil ich nach dem dritten Manuskript immer einen Brief bekomme, der mich darum bittet, nein anfleht, bitte keine Manuskripte mehr zu schicken, weil man sie ja doch nicht lesen würde, schicke ich meine Texte nur noch an Verlage, die sich gerade neu gründen. Die müssten sich doch wenigstens freuen, schon beachtet zu werden. Nichts davon! Angeekelt sind sie von mir. Die Zeitungen drucken nicht einmal meine Leserbriefe. Nicht einmal das. Allen Unsinn drucken die doch, sind voll mit Gequatsche! Nie wird mich jemand veröffentlichen. Und das mit Recht. Ich versuche ja, nichts wegzuschicken, aber ich muss, oder besser gesagt, dieser Schreibende in mir verlangt es unerbittlich. Das Schlimme dabei ist, dass ich gar nicht mehr zum Lesen komme. Schlimmer noch, überhaupt niemals zum Lesen gekommen bin. Ein guter Schriftsteller müsste doch zumindest eine schemenhafte Vorstellung davon haben, was in der Literaturgeschichte zumindest der neuesten Zeit so alles verfasst wurde, dann könnte er vielleicht lernen, wie man richtig schreibt. Aber ich lese ja nicht einmal das, was ich selber schreibe! Ich ertrage dieses Geblöke eines alten Hammels nicht. Im Grunde habe ich sogar eine panische Angst davor, dass irgendwann einmal ein Verlag ein Manuskript von mir akzeptieren würde, und ich es überarbeiten müsste, und ich gezwungen wäre, es zusammen mit einem Lektor durchzugehen. Diese furchtbare Quatsch mit Seele-Pampe einer unglücklichen Kindheit, dieses Gesülze über meine Eltern, die doch an meiner Misere nun wirklich keine Schuld haben.

Ein Freund von mir, ein ehemaliger Parteikommunist, der heute in irgendwelchen monarchistischen Kreisen herummacht, sagte mir einmal, dass ich, wenn die Sowjetunion weiter bestanden hätte, dass ich dann wegen Parasitismus ins Lager gekommen wäre. Stalin persönlich hätte dafür gesorgt, sagte er noch, mit einem hämischen Grinsen dabei. Ich frage mich immer öfter, ob mich das von meiner Schreibsucht nicht hätte erlösen können. Welch ein Befreiungsschlag! In der Zwangsarbeit hätte ich natürlich keine Schreibmaschine gehabt. Nicht einmal Papier wäre zu bekommen gewesen. Ich horte Papier, sie glauben es nicht. Ich kann an keinem Schreibwarenladen vorbeigehen, ohne mich einzudecken. Zwei Packen schleppe ich raus, einer könnte ja verloren gehen. So furchtbar ist das. Natürlich nicht für die Händler. Die mögen mich. Gut, dass es noch Leute wie sie gibt, sagt mein Händler um die Ecke immer, Leute, die noch schreiben. Lesen will er es natürlich nicht, keine Zeit, murmelt er dann immer, wenn meine Schreibstimme aus mir zu reden anfängt und ihn um ein Stelldichein bittet. Natürlich auch nur ein Heuchler, dieser Schreibwarenhändler, der nur an sein eigenes Fortkommen denkt. Woher ich das Geld für das ganze Papier nehme, weiß ich nicht. Ich müsste eigentlich längst verhungert sein, aber immer habe ich Geld auf dem Konto. Jemand scheint sich geheimnisvoll um mich zu kümmern. Irgend ein numinoser Förderer der Kunst, der den Schreibenden in mir erkannt hat und ihn am Leben erhalten will, ohne selbst in Erscheinung zu treten.

Und dann schreibe ich, wie ein Verrückter, allerdings in korrekter Orthographie, wie es mir meine Russischlehrerin beigebracht hat. Sie erzählte immer etwas von Maxim Gorkij, der besonders viel wert auf die Orthographie gelegt hätte. Das wäre das Wichtigste überhaupt beim Schreiben. Deshalb achte ich immer besonders auf korrekte Rechtschreibung, aber was ich schreibe, weiß ich nicht. Nicht wirklich. Zuweilen wird auf dem Papier jemand erschossen, es könnte sich also um Kriminalromane handeln. Geliebt wird, glaube ich, nie. Wie auch, nie habe ich geliebt, nie eine Frau näher kennen gelernt, außer meiner Mutter natürlich, aber das zählt nicht. Obwohl mein Psychiater ja meint, es könne an ihr liegen. Es könnte eine Art Liebesbeweis sein, den ich meiner verstorbenen Mutter ins Grab nachschicke, weil unsere Beziehung gestört war. Könnte! Vielen Dank, das nützt mir aber was. Außerdem war meine Mutter gar nicht so schlimm. Hatte eben als Krankenschwester nicht viel Zeit und ist schließlich an Tuberkulose gestorben, das ging damals noch, obwohl genug Geld für Medikamente da war. Ich habe meine Mutter sowieso kaum zu Gesicht bekommen, erst als sie im Sterben lag häufiger. Irgendwie traurig, aber auch irgendwie normal. Alle sterben schließlich. Und mein Vater war ein vielbeschäftigter Ingenieur, häufig auf Montage, oder so. Mutter meinte natürlich, er hätte überall Freundinnen, die übliche Eifersucht, die nichts besagt, als dass sich meine Eltern geliebt haben müssen. Alles in Ordnung also. Als ich in die Schule kam, lag sie schon im Sterben. Spuckte manchmal Blut. Nahm Inhalationen mit rasselnden Bronchien. Sehr einprägsam. In der Schule fing das Schreiben an. Sie röchelte, ich schrieb. Ich schrieb, sie röchelte. Meine Schulaufsätze bekamen allerdings trotz ihres Umfangs immer schlechte Noten. Sie waren in rote Tinte getaucht. Dies schlechter Stil, das schlechter Stil. Zu lang, zu umständlich. »Denken, bevor man schreibt!«, stand einmal am Rand. Wie sollte ich meiner damaligen Lehrerin aber erklären, dass nicht ich es war, der da schrieb, ich dachte durchaus, aber dieser Schreibende in mir nicht. Der dachte gar nicht daran zu denken. Entschuldigung für das Wortspiel, aber genau so war und ist es. Vielleicht denkt er aber doch und ich bekomme es nur nicht mit. Denkt wirres Zeug, das ich nicht lesen will, das niemand lesen will.

Manchmal habe ich Albträume. Ich sitze in einer Talkshow und werde zu meinem Bestseller befragt. Ich weiß nicht das Geringste davon, was ich geschrieben habe. Stammle herum. Alle loben mich, applaudieren, halten es für einen medialen Trick, um mich interessanter zu machen. Ich fange an zu brüllen und zu toben, dass nicht ich es bin, der da schreibt, in mir sitzt ein Besessener, ein Irrer, den ich nicht los werden kann. Alle lachen und applaudieren. Ich werde in immer neue Talkshows eingeladen, werde immer berühmter. Die ganze Welt kennt mich bereits, von Helsinki bis Los Angeles, von Feuerland bis Novaja Semlja. Alle lachen, ich brülle und tobe. Plötzlich explodiere ich in einer wilden Feuersäule und seine Gestalt wird sichtbar, besser sein feuriger Schemen, mit kaum entzifferbaren Gesichtszügen, flammenden Händen voller Buchstaben. Dann brüllt er über die ganze Welt die Worte des Todes und der Vernichtung und des Endes.

Dann erwache ich und kann mich eine ganze Weile nicht mehr bewegen. Ich bin gelähmt. Nur ein Schlottern zieht durch meinen ganzen Körper. Erst langsam komme ich zu mir und setze mich noch leicht zitternd an die Schreibmaschine …
 

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Übersetzung: Eric Boerner – © Illeguan 2004