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[Rjurik Nerbeev]

Preisrede zur Verleihung
des Sennefelder Literaturpreises

von Rjurik Nerbeev

 

 

Vielen Dank für die lobenden Worte und noch viel mehr für das Preisgeld. Da ich ein Autor bin, zudem ein russischer Autor, bin ich natürlich knapp bei Kasse. Sie wollen sicher etwas über meine Einstellung zur deutschen Literatur wissen? Nein? Pech gehabt, denn jetzt rede ich. Die deutsche Literatur ist mir als Russen mehr als vertraut, theoretisch zumindest. Hat sich doch Dostoevskij bei Ihrem Schiller heftig bedient. Die Räuber heißen bei ihm die Teufel oder Dämonen. Und natürlich sind Dostoevskijs Räuber, äh Teufel, zig mal so lang, damit man den Diebstahl nicht bemerkt. Andererseits hat Ihr Fontane Tolstojs Anna Karenina unter dem Titel Effi Briest imitiert, zig mal kürzer, damit man den Diebstahl nicht merkt. Wir sind also quitt.

Es gibt folglich einen interessanten kulturellen Austausch zwischen unseren Völkern. Die Beutekunst, über die von Putin, Schröder und anderen überflüssigen Politikern so viel geredet wird, ist keine neue Erscheinung.

Aber kommen wir zu meiner Einstellung zur deutschen Literatur. Als Russe vermisse ich bei uns Schiller. Wie anders könnte unsere Geschichte aussehen, wenn wir jemanden gehabt hätten, der uns eintrichtert: Ehret die Frauen, sie flechten und weben Himmlische Rosen ins irdische Leben. Als Russe denkt man, Frauen seien so etwas wie Fußabtreter, nur selbstreinigend - und dann so ein Satz. Erschütternd. Vergleicht man die Lage der Frau in Russland mit der in Deutschland, weiß man, was Literatur bewirken kann. Ich vermute, dass jede deutsche Frau einen kleinen Hausaltar mit dem Bildnis Schillers besitzt. Wäre Schiller ein Russe gewesen, er besäße so einen Altar bei jeder Russin, dessen bin ich mir sicher.

Mit Goethe kann ich dagegen nichts anfangen. Ich habe den Faust gelesen. Zuerst dachte ich: Mann, der schreibt ja wie Pasternak und dass im 18. Jahrhundert! Es war eine Übersetzung von Pasternak. Nun ja. Aber dann. Ich habe nicht einmal verstanden, worin die Wette besteht. Ich habe einen befreundeten Professor für deutsche Literatur befragt. Er wusste es auch nicht. Ich fürchte, das etwas, was ein russischer Professor nicht weiß, niemand weiß. Und das soll eine Tragödie sein? Beim Hamlet weiß man, die Pfeife kriegt es nicht gebacken, seinen Onkel, diesen miesen Brudermörder, abzustechen. Klar, dass er am Schluss selber drauf geht. Kein Vertun. Aber was soll diese Herumeierei beim Faust. Wieso sollte Gott … ich bitte Sie, Gott! … diesen Mörder und Frauenschänder davonkommen lassen und in den Himmel aufnehmen? Hat Goethe etwa Schiller nicht gelesen? Jedenfalls würde Goethe keinen Altar bei unseren Frauen eingerichtet bekommen. Schon dieses völlig unglaubwürdige Gretchen. Eine Wäscherin, die nicht weiß, wo es lang geht. Wer glaubt denn so einen Unsinn? Ich fürchte, da seid ihr Deutschen vom Goethe ganz schön gelackmeiert worden. Aber lassen wir das.

Heine ist natürlich der beste deutsche Dichter, auch wenn ihr das nicht wisst. Wer würde auch freiwillig zugeben, dass ein Jude die eigene Sprache besser beherrscht als man selber! Auch kein Russe würde Mandelstam als den größten russischen Dichter des 20. Jahrhunderts bezeichnen, auch wenn das ziemlich wahrscheinlich so ist.

Heine ist aber viel lustiger als Mandelstam. Ich habe ein bisschen deutsch gelernt, nur um Heines Humor richtig erfassen zu können. Die russischen Übersetzungen, selbst von unseren besten Dichtern, wie Lermontov, Tjutcev oder Blok, sind unsagbar fade. Gegen Heine ist sogar Gogol ein ziemlich schwerfälliger Autor, auch wenn wir Russen das nicht zugeben würden.

Im zwanzigsten Jahrhundert war mit euch dann leider nichts mehr los. Hesse, Brecht und Thomas Mann taugen nichts, wie auch eure sonstige Literatur immer nach Nobelpreisambition riecht. Wo bei euch aber ein Solshenicyn oder gar ein Bulgakov oder ein Belyj zu verorten sein sollten, weiß ich nicht. Was ist mit euch los? Habt ihr etwa keine Massenmörder an der Regierungsmacht gehabt, gegen die man sich literarisch und mannhaft im Lande hätte stellen können? Ja, hinter her oder im Ausland, da wart ihr ordentlich kafkamäßig betroffen oder habt rumgerilkt. Aber ich will nicht lästern, oder gar die russische Literatur in den Himmel heben. Die Blechtrommel war ganz nett zu lesen.

In nächster Zukunft ist von Literatur nichts mehr zu erhoffen. Auch wenn das negativ klingt, ist es einfach die Wahrheit. Wir leben in einer Massenkultur und die Masse kann nicht lesen, zumindest nicht im literarischen Sinne. Mir ist immer ganz schwiemelig, wenn ich mir vorstelle, nur noch in Hörsälen mit meinen literarischen Ergüssen verstanden zu werden. Dort aber ist das Wort überflüssig, wenn es nicht vorher vom Volk gefiltert wurde. Natürlich kann man alles zu einer Fernsehserie ummodeln, besonders Tolstoj, aber das ist nicht dasselbe. Nein, Literatur ist zwar nicht tot, aber sie ist so gut wie unbedeutend und das ist für einen Literaten wie mich noch schlimmer als der Tod.

Deshalb schreibe ich häufig so böse Sachen, für die ich mich nachher entschuldigen muss und nicht einmal weiß wie. Ich musste vieles einfach mal loswerden. Vor allem meinen Hass. Das ist irrational und beileibe keine große Literatur. Ich weiß das. Aber ich werde versuchen, mich zu bessern. Wie Schiller sich nach den Räubern gebessert hat. Obwohl man sich fragen kann: wirklich zum Besseren? Die Räuber sind nämlich mein Lieblingsstück, besonders in der russischen Fassung von Dostoevskij.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
 

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Übersetzung: Veronika Zehetmeier – © Sennefelder Literaturpreis 2004