Die ein wenig höher liegende Wüste
Man hat uns gesagt warum – doch was war
Ruht darunter. Der Grabhügel
Ist etwas bewachsener als die blasse Wüste.
Vielleicht ein Atemzug
Der erstarrt ist.
Beim Kratzen des Bodens legt man
Steine frei, die Zeichen sind, einige sind
Erstaunte oder tote Blicke
Die die Händler aussuchen kommen.
Man müsste lesen können.
Die kleinste Erhebung
Hält den Sand zurück und etwas
Ist vergraben unter jedem Hügel.
Der ständige Wind ist trocken.
Die Skelette sind gleichmäßig glatt.
Man hat uns gesagt, dass sie Städte bauten
Man wird alles wiederfinden – aber wir,
Wir kamen mit dem Wind. Die Vögel
Haben unsere Zelte überwacht.
Schon sind in der Ferne
Andere Hügel geöffnet für die Ziegen.
Wir warten, dass man uns das Werkzeug bringt.
Die Mauern werden sichtbar und Wasser vielleicht
Hervorsickern. Ich wage kaum
So tief zu graben, wo Tote trinken,
Und dabei die Erde, der Masken entfließen,
Zu tief zu zerreißen.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Dies ist keine Stadt
Ich habe vor ihrem Geist gezittert
Emporgekommen aus erstaunten Sänden
Er ist sehr schön.
Ich sterbe vor Durst, ihre Schätze im Kopf
Ich bin sehr arm und laufe barfuß
Große weiße Vögel
Was habt ihr mir ins Ohr gesagt
Als ich schlief
Eine etwas schwere Königin
Erhebt sich von ihrem Diwan
Wenn die Reisenden ihre Dinge
Der wirklichen Welt mitbringen
Die Stadt ist am Rande des Meeres
Aber man muss Wüsten durchqueren
Um hinein zu gelangen
Es gibt dort Tiere
Die den Königen Kurzweil verschaffen
Sehr hartes Holz, Elfenbeinschnitzereien
Den goldenen Puder der Palmen
Und Wasser
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Das Wasser, das wir zu Munde führen,
Ist salzig. Der Geschmack des Meeres
Ist der eines weiblichen Körpers.
Man wusste es nicht.
Wie war es vorher,
Wir wissen es nicht.
Aber vielleicht hat nie einer, auch keine Suche
Jemals diese Rosensträucher durchdrungen.
Uns, die wir von den Hochebenen kommen,
Steigt der Sumpf zu Kopf.
Vielleicht werden wir andere Götter haben.
Wir können Tonerde verwandeln
In schöne Dinge. Ein Geschirr violett
Und grün schmückt unsere Behausung.
Wir werden lernen zu bauen
Und die verdorbene Erde bewässern.
Das wird unser Schicksal sein.
Mit der Hand fertigen wir Tonkrüge,
Hoch genug, die toten Kinder dort zu bewahren,
Geschützt vor dem Wasser und den Tieren.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Unnötig das Tal
Des Schlamms zu vermessen.
Wir spannen die Ochsen ein
Sobald das Wasser rosa ist
– Und wir, was sind wir?
Gleichgültige.
Der Blick in Form einer Scheibe
Folgt dem Fluss aufwärts und seinem Rückfluss
Der unsere Knie voller Schlamm hinterlässt.
Die Scheibe ist niedergegangen
In diesem Palast, verschlossen durch ein Trapez.
Auf dem Gemäuer steht
Alles, was man wissen muss.
Wir wissen, dass er der Unbewegliche ist,
Und wir sind seine Bewegung.
Unserem Volk ist deshalb nichts
Unmöglich – selbst Steinblöcke anzuheben
Die so präzise behauen sind
Dass man viel später
Geheimnisvolle Gesetzmäßigkeiten ableiten wird.
Unnötig zu träumen.
Nur die haben eine Seele
Die er dazu bestimmt.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Sind wir verdammt. Sind wir
Dazu bestimmt sinnlos zu klagen
Über rote Leichen.
Wenn zwei Brüder zusammen sterben
Hier teilt sich die Flamme
Von selbst auf dem Scheiterhaufen.
O betagter Blinder, o König, der du das Ungeheuer erschlagen,
Schöner Fremder, der du aus dem Wald hervortratst,
Krüppel, der du geschickte Antworten weißt,
Vatermord, der so verlockend.
Er schläft mit seiner Mutter
Und die Stadt schlief.
Eines Tages hat uns dieser Pestgeruch in den Straßen
Nachdenklich gemacht.
Vielleicht hätte man nicht
Raten sollen. Vielleicht hätte er
Noch einmal die Antwort gefunden
Wenn er nicht in unseren Augen gelesen hätte
Dass er das Ungeheuer war.
Und zwei blutige Kugeln
Haben unser Pflaster befleckt.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Die Hänge der Hügel sind rot.
Im Frühling sind es die Blumen
Oder das Blut dessen, den man liebt.
Dann trocknen die Hügel aus
Und die Quellen versiegen
Gleichermaßen wird das Korn hart.
Währenddessen drehen sich die
Blütenblätter, das Blut des Sohnes verweht im Wind.
Er stirbt nach und nach. Seine Mutter
Verliert ihn im Weizen.
Die letzte Garbe ist für Sie:
Geschnitten, geworfelt, die Körner
In alle vier Winde geworfen,
Alles ist in Ordnung.
Also kann man wieder in die Straßen zurückkehren,
Die Vorräte auf die Schiffe laden,
Die Stadt kann ihren seichten Beschäftigungen nachgehen,
Der Purpur aus toten Muscheln sickern.
Vorbei am Haufen violetter Muschelschalen
Im kleinen dunklen Hof ein alter Händler
Spur von bequemeren Zeichen
Die der Zukunft dienen.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Die Liebenden sind noch jung
Nach zehn Jahren.
Sie lachen – mein Gott, wie sie das Lachen lieben.
Tatsache ist, dass die Ebene leer ist
Und dass die beiden Flüsse klar sind.
Glückliches Paar. Die Stadtmauer ist breit
Breiter als ihr unordentliches Bett.
Die Ausrufer sind müde geworden
Ihr Schönstes anzubieten
Und ihre Holzfeuer, auf denen
Das Fleisch brutzelte, das sie den Seelen darboten
Sind nur noch kleine Aschen
Unsichtbar von der Höhe der Mauern.
(Auf wie vielen verbrannten Städten
Gebaut – aber auch diese Stadtmauern
Werden einstürzen, selbst wenn die dick sind.)
Ein großes Schweigen über den Gräsern.
Alle Götter haben sich zurückgezogen.
Der Flug unverhoffter Vögel
Zieht über die Stadt.
So groß, dass er komisch wirkt,
Es bleibt dieses Holzpferd
Dessen Schnauze über das Mäuerchen reicht
Um die Augen der Liebenden zu wittern.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Von diesem Stein an
Wo mein Kind fiebert
Sind die Strahlen gleich
Die alles messen.
Sie war ein junges Mädchen,
Sie half bei der Ernte,
Sie breitet die Früchte aus
Die in der Sonne trocknen.
Warum Sie? Ihre Stimme dringt
Durch sternenbestreute Finsternis,
Vielen unverständlich.
Der Gott, der sie wählte,
Umhüllte sie mit einer Schlange.
Sie weiß nicht, was sie gesagt hat.
Aber die Könige sind unruhig, die anmaßenden Söhne
Gehen fort, die Städte
Schieben die ächzenden Schiffe
In Richtung des gewählten Golfes, weil sie gesprochen hat.
Von meinem Garten aus sehe ich Karawanen kommen
Die hier ihre schönsten Bronzen entladen.
Ich weine gegen eine Mauer
Wenn sie vorbeiziehen.
Meine Tochter zittert. Ihre verzauberte
Sprache ist nicht die ihre.
Die Stimme der Tiefen heiligt ihr Mund.
Sie leidet.
Sie ist abwesend.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Die Berge tanzten
Als die Erde gut war
Und wir tanzten um
Das Zedernholz, das qualmte.
Nichts von alledem.
Der Gestank der verfaulenden Düfte
Und die nicht koscher geschlachtete Herde.
Diese Erde wurde gewährt.
Reicher Honig, ovale Feldspinnen.
Königreich des fließenden Wassers und der Hirschkühe
Vom Jenem betrachtet, der ist.
Als der Schlangenstab
Die Götzen vertrocknen ließ
War die Sünde nur
Noch ein Stück Kohle
Heute, wenn man auf jene trifft
Die zu bestrafen kommen
Bin ich blind.
Ich gehe zum ausgedörrten Sand
Und schreie.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Während sechs unerlässlicher Tage
Sind unsere Frauen im Tempel und öffnen
Sich die Reisenden den unbekannten Händlern.
Keine wird herauskommen
Ohne sich derart gerechtfertigt zu haben.
Männer, die in den Gärten arbeiten
Kommen von dort erschreckt zurück.
Einige vergiften sich
Beim Berühren der Pflanzen.
Zwischen den blauen Steinen aus Emaille
Führen wir langsam den Trauerzug.
Die Stiere und die Löwen schauen zu.
Es ist immer noch warm.
Wir haben Angst vor den Göttern, die die Welt unseren
Grenzenlosen Vorhaben unterwerfen.
Die Zeit ist nichts. Wir sind zu mächtig.
Diese Stadt ist riesig, etwas klebrig.
Im Fluss treibt der Abfall
Und der stockende Schlamm.
Wir sind zu zahlreich
Drinnen.
Viele von uns
Müssen getötet werden.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
Wir sind Gleiche. Unsere Frauen,
Wir sehen sie sehr selten
Und unsere Kinder essen in der Kantine.
Unsere Frauen lachen lautstark untereinander
Währen wir Männer unter uns lachen, weit weg von den Frauen
Die ihre Knie entblößen.
Darauf wartend, schön zu sterben,
Wie das Gesetz es befiehlt.
Des Nachts gehen wir auf den Sandwegen
Und wir lassen die Männer vor uns eilen
Wir töten sie in den Büschen.
Die gut dressierten Sieger, die Tänzer, die Athleten
Ein einziger Dichter genügt ihnen.
Hinkend, wie er war, ließen wir ihn sagen:
Sterbt für das Vaterland.
Denn wir brauchen keinen anderen Grund
Um zu leben.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
für L. A. M.
»Ich habe sechs Geier gesehen.«
»Selbzwölf bin ich der König.«
Wir werfen in den Tiber
Die Leichen derer, die mit uns
Nicht konform gehen:
Kinder mit zwei Köpfen,
Kälber mit fünf Pfoten, Siamesische
Zwillinge und Hermaphroditen.
Und wenn der Blitz einschlägt
In mich auf freiem Feld,
Begrabe man mich als Verdammten,
Nenne man mich heilig.
Dann laufen wir um den Hügel herum,
Mit nacktem Oberkörper, um die Frauen zu geißeln.
Damit die Stadt lebe
Brauchen wir keine Skandale,
Weder Geburten noch Tode
Von unnatürlicher Art.
Nachdichtung: Dorothee Neserke
wurde am 4. September 1904 in Saint Saturnin les Avignon
geboren und starb am 1. März 1993 in Avignon/Vaucluse.
Er hat rund 34 Bücher veröffentlicht, darunter zwei Romane
und drei Essais, unter anderem über Stephane Mallarmé
und Francis Ponge. Der größte Teil seines Werks umfasst Gedichte.
Sein erstes Gedicht erschien 1928, weitere Veröffentlichungen
ab 1931, und zwar bei folgenden Verlagen: Messein, Robert Laffont,
Cahiers du Sud, Vigneau, Bibliothèque francaise, Seghers, Mermod,
Gallimard, Flammarion, Ryoan-Ji, Fata Morgana, Maeght Editeur.
1986 erhielt er den Prix national de Poésie.
Der Gedichtband LES VILLES OUVERTES (Die offenen Städte)
erschien 1965 bei Gallimard, gefolgt von »Relations« (1968),
»Limites du regard« (Grenzen des Blicks, 1971) und
»Instants qualifiés« (Besondere Momente), 1973).
Die vorliegenden Gedichte entstammen einem Sammelband
aller vier vorliegenden Bücher, der 1993 anlässlich des Todes
von Jean Tortel unter dem Titel »Limites du corps«
(Grenzen des Körpers) von Gallimard herausgegeben wurde.
Dorothee Neserke
eMail: dor.n@t-online.de