[W. H. Auden]

Wystan H. Auden (1907 – 1973)

Feuer und Eis

Manche sagen, dass im Feuer die Welt vergehen wird,
Andere – im Eis.
Von dem, was ich an Sehnsucht spür,
Wünscht ich, dass Feuer uns zerstört.
Doch wenn es zweimal untergehen heißt,
Da weiß ich wohl genug vom Hass
Zu sagen, die Zerstörung durch das Eis
Wär auch ein großer Spass,
Der völlig reicht.

(1920)


Die verpasste Straße

Zwei Straßen gingen ab im gelben Wald,
Und leider konnte ich nicht beide reisen,
Da ich nur einer war; ich stand noch lang
Und sah noch nach, so weit es ging, der einen
Bis sie im Unterholz verschwand;

Und nahm die andre, grad so schön gelegen,
Die vielleicht einen bessern Weg versprach,
Denn grasbewachsen kam sie mir entgegen;
Jedoch, so weit es den Verkehr betraf,
So schienen beide gleichsam ausgetreten,

An jenem Morgen lagen beide da
Mit frischen Blättern, noch nicht schwarz getreten.
Hob mir die eine auf für'n andern Tag!
Doch wusste ich, wie's meist so geht mit Wegen,
Ob ich je wiederkäm, war zweifelhaft.

Es könnte sein, dass ich dies seufzend sag,
Wenn Jahre und Jahrzehnte fortgeschritten:
Zwei Straßen gingen ab im Wald, und da –
Wählt' ich jene, die nicht oft beschritten,
Und das hat allen Unterschied gemacht.


Eines verschneiten Abends
im Wald verhaltend

Wohl weiß ich, wer den Wald besitzt,
Sein Haus jedoch im Dorf dort ist;
Er merkt nicht, wie ich hier verharr'
Zu schaun, wie Wald den Schnee begrüßt.

Mein Pferdchen denkt, ich wär ein Narr,
Zu halten, wo nicht Haus noch Farm,
Im Wald, nah beim gefrornen Teich,
Am finstersten Abend im Jahr.

Des Zaumzeugs Glöckchen klingen leis:
Es fragt: was ist? geht's weiter gleich?
Ansonsten hört man nur ganz sacht
Den Schneefall und den Wind, der streicht.

Der Wald ist nett, tief wie die Nacht,
Doch halte ich, was ich versprach,
Und Meilen sind's noch bis zum Schlaf,
Und Meilen sind's noch bis zum Schlaf.


Frustration

Hätt ich ein blinkendes Gewehr,
Die Welt bald freudenvoller wär
Durch Kugeln, ins Gehirn zu jagen
Den Leuten, die mein Dasein plagen;

Stünd etwas Giftgas zur Verfügung,
Wär es eine leichte Übung,
– Unterhaltsam auch vor allem –
Zu killen, die mir nicht gefallen.

Das Schicksal macht uns schwer zu schaffen,
Denn ich hab keine Todeswaffen,
So dass sich mit Gesundheit brüsten,
Die in der Hölle schmoren müssten!


Ballade von den unglücklichen Säugern

Scharfe Wunden schlägt's Liebesgeschick;
    Einsam und traurig wie's tiefblaue Meer;
Laut in der Nacht wie ein Uhrwerk, das tickt;
    Unsterblicher noch als der Wandrer Ahasver.
War je eine Liebe ganz aus und vorbei,
    Entkam je ein Kuss seiner schuldigen Pflicht?
Söhnchen, im Sterben noch zahlst du dein Teil –
    Elefanten und Frauen vergessen nichts.

Ja, so ein Mann will sich binden im Glück,
    Ja, so 'nem Mann fällt's Werben nicht schwer;
Er geht in die Falle. Es gibt kein zurück.
    Und zahlt es mit Reue – von altersher.
Deine Chancen, Söhnchen, stehen nicht gut –
    Vergewissere dich, ob du zielsicher bist.
Schieß, wenn du musst, doch sei auf der Hut:
    Elefanten und Frauen vergessen nichts.

Von Cæsar herab über Joynson-Hicks
    Erschallt eine Warnung – frisch und pur:
Zwar sind sie gewöhnt an muntere Tricks
    Und zärtlicher noch als Taubengegurr,
Doch Vorsicht, Sohn, vorm Blutfluch der Zwei,
    Als Haustiere sind sie ein schlimmes Gezücht;
Die ganze Naturgeschichte beweist –
    Elefanten und Frauen vergessen nichts.

        Geleit

Fürst, einen Ratschlag leg ich noch bei,
    Der in Eden gemünzt noch zahlkräftig ist:
Meide den Zoo und fürchte das Weib –
    Elefanten und Frauen vergessen nichts.


Begräbnis-Blues

Halt alle Uhren an, reiß raus die Telephone,
Damit der Hund nicht bellt, gib ihm 'nen saftgen Knochen,
Macht das Piano stumm und mit gedämpfter Trommel
Tragt den Sarg hinaus, lasst Klageweiber kommen.

Lasst über allen jaulend Aeroplane kreisen,
Die deutlich »Er ist tot!« in den Himmel schreiben.
Den weißhalsigen Tauben macht krepp-papierne Kragen,
Baumwollhandschuh, schwarz, solln die Schutzmänner tragen.

Er war mein Norden, Süden, mein Ost und West dazu,
Mein Werktag war er auch und meine Sonntagsruh,
Mein Sprechen, mein Gesang, mein Mittag, Mitternacht;
Dass Liebe ewig währt, das hab ich falsch gedacht.

Jetzt braucht man keine Sterne; macht sie alle aus,
Packt das Mondlicht ein und werft die Sonne raus,
Wischt die Meere weg und sägt die Wälder um;
Denn nichts auf dieser Welt wird jemals wieder gut.


Der unbekannte Staatsbürger
JS/07/M/378
Dieses Marmor-Monument
wurde vom Staat errichtet

Das Amt für Statistik hat ihm bescheinigt,
Dass offiziell keine Beschwerden vorlägen gegen ihn,
Und seine Führungszeugnisse besagen desgleichen,
Dass all seine Taten der großen Gemeinschaft dienten;
Er war also, im modernen Sinn eines alten Worts: heilig.
Bis zum Ruhestand, den Krieg mal beiseite gelassen,
War er in der Fabrik, wurde niemals entlassen
Und stellte den Arbeitgeber zufrieden, die Friesier Motoren e.G.
Doch war er kein Streikbrecher, noch sonst eigentümlich,
Die Gewerkschaftsbeiträge nämlich zahlte er pünktlich,
(Die Gewerkschaft, sagt unser Bericht, war solide)
Und unsre Mitarbeiter für Sozialpsychologie
Befanden: er war bei den Kumpels beliebt
Und auch öfters bereit, einen Trinken zu gehn.
Die Presse ist sicher, er kaufte ein Tageblatt täglich,
Und seine Meinung zu Lyrik wäre ziemlich alltäglich.
Die Policen auf seinen Namen beweisen: versichert war er rundum,
Musste einmal ins Krankenhaus und verließ es gesund.
Die Marktforschung und »Besser Leben« erklären,
Die Vorteile der Ratenzahlung waren ihm bestens bekannt:
Er besaß alles Nötige für den Modernen Mann,
Zu dem Radio, Auto und ein Kühlschrank gehören.
Die Meinungsforscher versichern: seine Meinung war saisonal,
Wenn Frieden war, stand er für Frieden, im Kriege war er Soldat.
Verheiratet war er, erhöhte mit fünf Kindern die Population,
Die richtige Zahl, sagen Eugeniker, für Eltern seiner Generation,
Unsre Lehrer berichten, er hätte nie eingegriffen in ihr Curriculum.
War er frei? War er fröhlich? Hat ihn etwas gestört?
Absurde Fragen: wäre falsches gewesen, wir hätten es sicher gehört.


Musée des Beaux Arts

Sie lagen nie falsch, was das Leiden betrifft,
Die alten Meister: was es menschlich bedeutet,
Verstanden sie gut; wie es stattfindet,
Während jemand anders gerade isst, oder ein Fenster öffnet, oder dröge seinen Weg geht;
Wie es, wenn die Erwachsenen ehrfürchtig, leidenschaftlich
Das Wunder der Geburt erwarten, immer ein paar Kinder geben muss,
Die alles das gerade nicht interessiert, und die statt dessen
Auf dem Teich am Waldrand Schlittschuh laufen:
Sie vergaßen nie,
Dass selbst das fürchterlichste Martyrium
In irgend einem Winkel vor sich geht, einem schmutzigen Fleckchen,
Wo die Hunde ihr Hundeleben fortsetzen und das Pferd des Folterers
Sich den Hintern unschuldig an einem Baum schubbert.

Bei Brueghels Ikarus zum Beispiel, wie sich alles
Ziemlich gemächlich vom Unglück abwendet: der Pflüger könnte
Das Aufklatschen gehört haben, den einsamen Schrei,
Aber für ihn war das kein bedeutsamer Fehlschlag; die Sonne schien
Wie zu erwarten auf die weißen Beine, die im grünen Wasser
Verschwanden; und das kostbare herrliche Schiff, das etwas Erstaunliches
Gesehen haben müsste, einen Knaben, der vom Himmel fiel,
Hatte seinen Bestimmungsort zu erreichen und segelte ruhig weiter.


Epitaph für einen Tyrannen

Perfektion von besonderer Art, das war seine Sache,
Und die Dichtung, die er verfasste, nicht misszuverstehn;
Flotten galt sein Interesse und großen Armeen,
Menschliche Narrheiten waren sein tägliches Brot;
Respektable Senatoren brachen in Lachen aus, wenn er lachte,
Und wenn er weinte, brachte es Kindern den Tod.


* * *

Die Eltern, die verarschen dich,
Nicht absichtlich, doch ist's der Brauch:
Sie lehrn dich ihre falsche Sicht
Und schichten Extraschwachsinn drauf.

Doch wurden selber sie verarscht
Von Trotteln in Uraltklamotten:
Mal taten die verzeihend barsch,
Um sich dann wütend zu verspotten.

Stets gibt der Mensch sein Elend weiter,
Wie Küsten falln ins tiefe Meer.
Spring eilig ab von dieser Leiter
Und zeuge keine Kinder mehr!


* * *

Morgen, Mittag, lange Nacht,
Sieben öde Wochentage,
Ein Arbeitssklave, der das macht,
Was Bücherwürmer halt so machen.
Bis ich krepier mein Tageslauf:
SCHEISS DRAUF, SCHEISS DRAUF, SCHEISSE DRAUF!

Fire and Ice

Some say the world will end in fire,
Some say in ice.
From what I've tasted of desire
I hold with those who favor fire.
But if it had to perish twice,
I think I know enough of hate
To say that for destruction ice
Is also great
And would suffice.

(1920)


The Road Not Taken

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that, the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.


Stopping by Woods
on a Snowy Evening

Whose woods these are I think I know.
His house is in the village, though;
He will not see me stopping here
To watch his woods fill up with snow.

My little horse must think it queer
To stop without a farmhouse near
Between the woods and frozen lake
The darkest evening of the year.

He gives his harness bells a shake
To ask if there is some mistake.
The only other sound's the sweep
Of easy wind and downy flake.

The woods are lovely, dark, and deep,
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.


Frustration

If I had a shiny gun,
I could have a world of fun
Speeding bullets through the brains
Of the folk who give me pains;

Or had I some poison gas,
I could make the moments pass
Bumping off a number of
People whom I do not love.

But I have no lethal weapon –
Thus does Fate our pleasure step on!
So they still are quick and well
Who should be, by rights, in hell.


Ballade of Unfortunate Mammals

Love is sharper than stones or sticks;
    Lone as the sea, and deeper blue;
Loud in the night as a clock that ticks;
    Longer-lived than the Wandering Jew.
Show me a love was done and through,
    Tell me a kiss escaped its debt!
Son, to your death you'll pay your due –
    Women and elephants never forget.

Ever a man, alas, would mix,
    Ever a man, heigh-ho, must woo;
So he's left in the world-old fix,
    Thus is furthered the sale of rue.
Son, your chances are thin and few –
    Won't you ponder, before you're set?
Shoot if you must, but hold in view
    Women and elephants never forget.

Down from Caesar past Joynson-Hicks
    Echoes the warning, ever new:
Though they're trained to amusing tricks,
    Gentler, they, than the pigeon's coo,
Careful, son, of the curs'ed two –
    Either one is a dangerous pet;
Natural history proves it true –
    Women and elephants never forget.

        L'ENVOI

Prince, a precept I'd leave for you,
    Coined in Eden, existing yet:
Skirt the parlor, and shun the zoo –
    Women and elephants never forget.


Funeral Blues

Stop all the clocks, cut off the telephone,
Prevent the dog from barking with a juicy bone,
Silence the pianos and with muffled drum
Bring out the coffin, let the mourners come.

Let aeroplanes circle moaning overhead
Scribbling on the sky the message He is Dead.
Put crepe bows round the white necks of the public doves,
Let the traffic policemen wear black cotton gloves.

He was my North, my South, my East and West,
My working week and my Sunday rest,
My noon, my midnight, my talk, my song;
I thought that love would last forever: I was wrong.

The stars are not wanted now; put out every one,
Pack up the moon and dismantle the sun,
Pour away the ocean and sweep up the woods;
For nothing now can ever come to any good.


The Unknown Citizen
JS/07/M/378
This Marble Monument
Is Erected by the State

He was found by the bureau of statistics to be
One against whom there was no official complaint,
And all the reports on his conduct agree
That, in the modern sense of an old fashioned word, he was a saint,
For in everything he did he served the greater community.
Except for the war till the day he retired
He worked in the factory and never got fired,
But satisfied his employers, Fudge Motors Inc.
Yet he wasn't a scab or odd in his views,
For his Union reports that he paid his dues,
(Our report on his Union shows it was sound)
And our Social Psychology workers found
That he was popular with his mates and liked a drink.
The Press are convinced that he bought a paper every day
And that his reactions to poetry were normal in every way.
Policies taken out in his name prove that he was fully insured,
And his Health Card shows he was once in a hospital but left it cured.
Both Producers Research and High-Grade Living declare
He was fully sensible to the advantages of the Installment Plan
And had everything necessary to the Modern Man,
A gramophone, a radio, a car, and a frigidaire.
Our researchers into public opinion are content
That he held the popular opinions for the time of year.
When there was peace, he was for peace; when there was war, he went.
He was married and added five children to the population,
Which our Eugenists say was the right number for a parent of his generation,
And our teachers report that he never interfered with their education.
Was he free? Was he Happy? The question is absurd:
Had anything been wrong, we certainly should have heard.


Musée des Beaux Arts

About suffering they were never wrong,
The Old Masters: how well they understood
Its human position; how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer's horse
Scratches its innocent behind on a tree.

In Brueghel's Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the plowman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
Had somewhere to get to and sailed calmly on.


Epitaph on a Tyrant

Perfection, of a kind, was what he was after
And the poetry he invented was easy to understand;
He knew human folly like the back of his hand,
And was greatly interested in armies and fleets;
When he laughed, respectable senators burst with laughter,
And when he cried the little children died in the streets.


* * *

They fuck you up, your mum and dad.
They may not mean to, but they do.
They fill you with the faults they had
And add some extra, just for you.

But they were fucked up in their turn
By fools in old-style hats and coats,
Who half the time were soppy-stern
And half at one another's throats.

Man hands on misery to man.
It deepens like a coastal shelf.
Get out as early as you can,
And don't have any kids yourself.


* * *

Morning, noon & bloody night,
Seven sodding days a week,
I slave at filthy WORK, that might
Be done by any book-drunk freak.
This goes on until I kick the bucket.
FUCK IT FUCK IT FUCK IT FUCK IT


<<Illeguan

Robert Frost

Feuer und Eis
Fire and Ice
Die verpasste Straße
The Road Not Taken
Eines verschneiten Abends …
Stopping by Woods …

Dorothy Parker

Frustration
Frustration
Ballade von den unglücklichen Säugern
Ballade of Unfortunate Mammals

Wystan H. Auden

Begräbnis-Blues
Funeral Blues
Der unbekannte Staatsbürger
The Unknown Citizen
Musée des Beaux Arts
Musée des Beaux Arts
Epitaph für einen Tyrannen
Epitaph on a Tyrant

Philip Larkin

Die Eltern, die verarschen dich
They fuck you up, your mum and dad
Morgen, Mittag, lange Nacht
Morning, noon & bloody night

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Englische Lyrik III