[Thomas Phillips: William Blake, 1807]

William Blake (1757 – 1827)

Einleitung

Hör des Barden Stimme an
Dem Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft bekannt;
Es hörte sein Ohr
Das heilige Wort,
Das den alten Baum durchwandert;

Es ruft die Seele, die verloren,
Die im Abendtau leis heult;
Dem Sternenpol
Wär's 'ne Kontrolle,
Und hätt's gefallne Licht erneut!

»Oh Erde, Erde, kehre wieder!
Steige aus betautem Gras!
Nacht ist müde,
Morgen, frühe,
Steigt aus der verschlafnen Masse.

Dreh dich nicht mehr weg!
Siehst mich nicht mehr an …
Der sternreiche Weg,
Der wässrige Strand
Gehören dir bis zum Tagesanfang.«


Mein hübscher Rosenstrauch

Eine Blume ward mir offeriert,
Solch Blume, wie niemals im Mai;
Doch ich sagte: »Ein Rosenstrauch ist meine Zier«,
Und schritt an der süßen Blume vorbei.

Zum Rosenstrauch ging ich des Wegs,
Meine Rose zu hegen bei Tag und bei Nacht;
Doch eifersüchtig dreht's Röschen sich weg,
Und mit Dornen nur ward ich bedacht.


Ein Giftbaum

Ich war voll Wut auf meinen Freund:
Sprach es aus, mein Zorn verschwand.
Ich war voll Wut auf meinen Feind:
Sprach's nicht aus, mein Zorn wuchs an.

Hab mit Tränen ihn begossen
Nachts und morgens voller Angst,
Sonnig lächelnd ihn getroffen,
Kam mit bösen Schlichen sanft.

Und er wuchs bei Tag und Nacht
Bis 'nen Apfel er gemacht,
Und mein Feind sah, wie der scheint,
Und er wusste, der ist mein, –

Sich in meinen Garten stahl,
Als die Nacht verhüllt den Stamm;
Und am Morgen froh ich sah,
Unterm Baum lag mein Feind lang.


Die Lilie

Die bescheidene Rose zeigt einen Dorn,
Das friedliche Schaf droht mit dem Horn,
Doch lieblich-weiß die Lilie lacht,
Nicht Drohung noch Dorn befleckt ihre Pracht.


Ammenlied

Wenn Kinderstimmen ertönen vom Grün,
Und's Flüstern und Wispern im Tal,
Die Tage der Jugend meinen Geist frisch durchziehn,
Mein Antlitz wird grün und auch fahl.

Kommt heim, meine Kinder, die Sonne versank,
Der Tau der Nacht steigt hinauf;
Der Tag, euer Frühling, ist spielend vertan,
Die Nacht, euer Winter, voll Trauer.


Der Tiger

Tiger, Tiger in der Nacht,
Hast im Wald dein Licht entfacht,
Wes Hand unsterblich, wessen Schaun
Dies Maß des Schreckens konnte baun?

In welch entfernten Tiefen, Himmeln
Konnt's Feuer deiner Augen wimmeln?
Auf welchen Flügeln konnt er's wagen?
Wes Hand wagt's, Feuer anzufassen?

Wes Schulterschlag, welch Kunstgeschehn
Ließ deinen Herzmuskel entstehn?
Und wenn dein Herz dann schlagen muss,
Welch Schreckenshand, welch Schreckensfuß?

Was für ein Hammer? Kettenband?
Welch Ofen hat dein Hirn gebrannt?
Welch Amboss? Wessen Schreckensgriff
Gab dieser Mörderwut den Schliff?

Als Sterne ihre Speere warfen,
Mit Tränennass den Himmel trafen,
Sah lächelnd auf sein Werk er dann?
Schuf er, der dich schuf, auch das Lamm?

Tiger, Tiger, in der Nacht,
Hast im Wald dein Licht entfacht,
Wes Hand unsterblich, wessen Schaun
Dies Maß des Schreckens konnte baun?


Die kranke Rose

O Rose, so betrübt:
Der verborgene Wurm,
Der die Nacht durchpflügt
Im heulenden Sturm,

Hat auserwählt dich
Zum freudigen Bett;
Wo Liebe verheimlicht
Dein Leben zersetzt.


Der Schornsteinfeger

Im Schnee das kleine schwarze Ding,
Das »Weh! O weh!« als Klagelaut singt,
»Wo sind dein Vater und Mutter? Sprich!« –
»Sie gingen zum Beten hinauf in die Kirch.

Und weil ich so froh war allhier auf der Heid,
Und lachte inmitten des Winterschnees,
Da gaben sie mir des Todes Kleid,
Und lehrten mich singen und klagen das Weh,

Und weil ich so froh sang und tanzte allhier,
Da dachten sie, täten mir etwas zur Freud,
Und gingen zu preisen Gott, Priester und Fürst,
Die sich einen Himmel baun aus unserm Leid.«


Der Engel

Ich hatte 'nen Traum! Wie deute ich ihn?
Ich war 'ne junge Königin,
Von einem Engel zart geführt –
Törichter Jammer ward niemals verführt!

Ich weinte tags, und auch bei Nacht,
Er wischte fort mein Augennass;
Ich weinte nachts, und auch bei Tag,
Verbarg ihm, was das Herz mir sagt.

Da nahm er die Flügel und entfloh.
Der Morgen blühte rosig-rot.
Mit trocknen Augen die Angst zu bewehren,
Griff ich nach zehntausend Schilden und Speeren.

Schon bald war mein Engel zurückgekehrt;
Er kam umsonst, ich war bewehrt.
Die Jugendzeit entflohen war,
Auf meinem Kopf nur graues Haar.


Die Fliege

Kleine Fliege du,
Deines Sommers Pracht
Hat gedankenlos
Meine Hand verjagt.

Gleiche ich denn nicht
Einer Fliege – dir?
Und bist du denn nicht
Ein Mensch wie Ich?

Denn ich trinke,
Tanze und singe
Bis mich verscheucht
Die Hand eines Blinden.

Wenn Denken das Leben ist,
Atmen und Kraft,
Dann ist die Not
Des Denkens der Tod;

Dann bin auch ich
Eine Fliege im Glück,
Ob lebendig ich bin
Oder auch nicht.


Ach, Sonnenblume

Der Zeiten müde, ach Sonnenblume,
Die der Sonne Schritte zählt;
Nach goldnen Gefilden voll Wonne suchend,
Wo der Reisende ist am Ziel;

Dort, wo ein Junge, vor Sehnsucht verkümmert,
Und bleich ein Mädchen, verschleiert vom Schnee,
Vom Grab sich erheben, leis danach wimmernd,
Wo's Sonnenblümchen auch wünscht hinzugehn!


Introduction

Hear the voice of the bard,
Who present, past, and future sees –
Whose ears have heard
The Holy Word
That walked among the ancient trees,

Calling the lapsed soul
And weeping in the evening dew –
That might control
The starry pole
And fallen, fallen light renew.

O Earth, O Earth, return!
Arise from out the dewy grass!
Night is worn,
And the morn
Rises from the slumberous mass.

Turn away no more.
Why wilt thou turn away?
The starry floor,
The watery shore
Is given thee till the break of day.


My Pretty Rose Tree

A flower was offered to me,
Such a flower as May never bore;
But I said »I've a pretty rose tree,«
And I passed the sweet flower o'er.

Then I went to my pretty rose tree,
To tend her by day and by night;
But my rose turned away with jealousy,
And her thorns were my only delight.


A Poison Tree

I was angry with my friend:
I told my wrath, my wrath did end.
I was angry with my foe:
I told it not, my wrath did grow.

And I watered it in fears,
Night and morning with my tears;
And I sunned it with smiles,
And with soft deceitful wiles.

And it grew both day and night
Till it bore an apple bright –
And my foe beheld it shine.
And he knew that it was mine,

And into my garden stole,
When the night had veiled the pole.
In the morning glad I see
My foe outstretched beneath the tree.


The Lily

The modest rose puts forth a thorn,
The humble sheep a threatening horn,
While the lily white shall in love delight,
Nor a thorn nor a threat stain her beauty bright.


Nurse's Song

When the voices of children are heard on the green,
And whisperings are in the dale,
The days of my youth rise fresh in my mind,
My face turns green and pale.

Then come home, my children, the sun is gone down
And the dews of night arise;
Your spring and your day are wasted in play,
And your winter and night in disguise.


The Tiger

Tiger, tiger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Could frame thy fearful symmetry?

In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare seize the fire?

And what shoulder and what art
Could twist the sinews of thy heart?
And when thy heart began to beat,
What dread hand? And what dread feet?

What the hammer? What the chain?
In what furnace was thy brain?
What the anvil? What dread grasp
Dare its deadly terrors clasp?

When the stars threw down their spears
And watered Heaven with their tears,
Did he smile his work to see?
Did he who made the Lamb make thee?

Tiger, tiger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Dare frame thy fearful symmetry?


The Sick Rose

O rose, thou art sick:
The invisible worm
That flies in the night,
In the howling storm,

Has found out thy bed
Of crimson joy;
And his dark secret love
Does thy life destroy.


The Chimney Sweeper

A little black thing in the snow,
Crying »weep! weep!« in notes of woe!
»Where are thy father and mother? Say!« —
»They are both gone up to the church to pray.

Because I was happy upon the heath,
And smiled among the winter's snow,
They clothed me in the clothes of death,
And taught me to sing the notes of woe.

And because I am happy and dance and sing,
They think they have done me no injury,
And are gone to praise God and his priest and king,
Who make up a heaven of our misery.«


The Angel

I dreamt a dream – what can it mean?
And that I was a maiden queen,
Guarded by an angel mild –
Witless woe was ne'er beguiled!

And I wept both night and day,
And he wiped my tears away,
And I wept both day and night
And hid from him my heart's delight.

So he took his wings and fled.
Then the morn blushed rosy red;
I dried my tears and armed my fears
With ten thousand shields and spears.

Soon my angel came again;
I was armed, he came in vain.
For the time of youth was fled,
And grey hairs were on my head.


The Fly

Little Fly,
Thy summer's play
My thoughtless hand
Has brushed away.

Am not I
A fly like thee?
Or art not thou
A man like me?

For I dance
And drink, and sing,
Till some blind hand
Shall brush my wing.

If thought is life
And strength and breath
And the want
Of thought is death;

Then am I
A happy fly,
If I live,
Or if I die.


Ah, Sunflower

Ah, sunflower, weary of time,
Who countest the steps of the sun,
Seeking after that sweet golden clime
Where the traveller's journey is done;

Where the youth pined away with desire
And the pale virgin shrouded in snow
Arise from their graves and aspire
Where my sunflower wishes to go.


<<Illeguan

Lieder der Erfahrung

Einleitung
Introduction
 
Mein hübscher Rosenstrauch
My Pretty Rose Tree
 
Ein Giftbaum
A Poison Tree
 
Die Lilie
The Lily
 
Ammenlied
Nurse's Song
 
Der Tiger
The Tiger
 
Die kranke Rose
The Sick Rose
 
Der Schornsteinfeger
The Chimney Sweeper
 
Der Engel
The Angel
 
Die Fliege
The Fly
 
Ach, Sonnenblume
Ah, Sunflower

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