Anna Gorenko

geboren am 6. Januar 1972 in Bendery, heute Moldavien
gestorben am 5. April 1999 in Tel-Aviv, Israel


Die als Anna Grigor'evna Karpa geborene Dichterin nahm sich als Pseudonym den Mädchennamen von Anna Achmatova, der mit dem Wort gore (russ.: Leid), das er beinhaltet, einen tiefen Bezug zu ihrer Lebenseinstellung hat. Ästhetisch steht sie der Akmeistin Achmatova aber sehr fern, in der Naivität des Ausdrucks und sprachlichen Spielfreude findet sich weitaus stärker eine Nähe zu Velimir Chlebnikov und dem russischen Futurismus der 10er Jahre des 20. Jahrhunderts.
Schon 1989 übersiedelte Anna Gorenko als Schülerin von Petersburg, wo sie aufwuchs, nach Israel über, wo sie sich in Wohngemeinschaften durchschlug.
Ihre Gedichte zeigen von Anfang an eine stark ausgeprägte Todessehnsucht, die in Verbindung mit einer vielfach anklingenden Infantilität auf eine frühkindliche Traumatisierung schließen lassen, die nie überwunden wurde. Fast nahtlos fügt sich hier der Missbrauch von harten Drogen ein, der mit einer Überdosis Heroin ihr frühes Ende herbeiführte. Ihr Tod mag für sie selbst eine Erlösung gewesen sein, für die russische Literatur der Generation Babylon stellt er aber eines der schmerzlichsten Ereignisse dar.

Eric Boerner

* * *

in der stadt wo dunkle tempel sind
wo's deshalb leuchtende grasplätze gibt
bin ich ein fayencebecher des schunds
stand auf bei Saigon zu trinken voll gier
als dachblech schaut der himmel herab
ich wünsch keine andere opfertat
ich bin das beliebige rechts oder links
am tor von Saigon das so schön

* * *

Am feiertag elektrischen lichts
zur stunde des verhafteten flugs
träumt mir die verheißene stadt
mit eis überdeckt die uferstraße
undurchdringlich die blickdichte nacht
wo prachtportale emporgewachsen
träum ich von dir bei frost und bei regen
wo armut und schlimmeres schüttelfrost hegen
doch jedes mal in zäher stille
wenn nicht wort noch hand zu willen
wenn willensschwach verdrießlich gleißend
der antwortblick nicht loszureißen


* * *

der tod verdeckt die nacktheit
als fleisch des knaben kopf des welpen
hier, wir bruder und schwester stelzen
und steigen in die dunkelheit

dann
durch das kröpfchen ins finstre
versuchend den schreihimmel nicht mehr zu sehn
hier, ihr bruder und schwester
sagen die götter verstecken's gesicht

an diesem feiertag unreifen weizens können wir niemanden ausbrüten
in diesen feldern steinerner gräser geschnittenen hanfs
an diesem tag ungeronnenen bluts können wir keinem verzeihn
wir bruder und schwester
des deltas

tauben
tauben der plätze uns lehrten
leben


* * *

jungforscher: verwahrloster totengräber
du schufst einen silbernen sarg
was soll ich mit tod ich bin nur ein piepmatz
ein zoologischer snob unbedarft
fachmann: ein raucher höchst edel
du dachtest mein leben ist um
ich kenne das leben nicht – bin nur ein piepmatz
ich wirble den himmel herum


* * *

        ich verlasse gerad meine seelenprovinz
        ich seh sofort seitlich: der körper könnte ein vögelchen sein
        doch kein flug- ein spaziervogel der'n bisschen springt
        natürlich nicht bunt.

        doch so was genehmes begegnet mir selten
        häuschen gehorsame gräschen und andere gewässerte bäume
auf dem weg in die hauptstadt


* * *

es liegen die häuser wie kinderbuchhaufen
kreuz und quer herum
lass uns zusammen ins südliche laufen
wo steinerne sände so stumm
nimm und trage mich zu dir
wo leichtes wasser fließt
um zu sehen dass so zart niemals jemand küsst


* * *

sag was aus meinem Hameln wurde
es wirbelt mein wimpelchen um eine stange
wie's laken vom tisch in den flusslauf strömt
sein hirte zielte hinter ihm
zerkrachte meine hausetagen
zerstreuten sich sie konnten nicht halten
verwirrte zigeuner auseinander eilten
und der vogel die maus berühren die böden
auf leere stadt fällt warmer schnee
auf toten körpern lebendigen dächern
liegt warmer schnee leg dich auch zu mir


* * *

bin ein kleiner japaner im kochenden wasser
das wasser reicht fast bis zum boden
arzt kommt – im tuch die herzvorkammer
im tuchfetzen hat es sich festgesogen
da kommt schon der tod aus dem walde gerannt
hält grad solch ein fetzchen in seiner hand
prinzesschen komm nicht zu mir her – ich mahne
im kochenden wasser bin ich ein japaner


* * *

im garten spielt man einen marsch
lass uns spielen krieg
du wirst mein vater gefallen sein und ich dich bewein
jetzt spielen sie einen walzer
es verkommen du und ich
mein guter bruder du jetzt bist – ich schlaf mit dir mein schatz
dann spielen sie was
doch wir sind längst fort
sterne brennen hier furchtbar im innern ihrer augen


* * *

denk mir eine schwester aus
meine schwester möchte einen roman geschrieben haben
sie hat nichts zu lesen dann schreibe ich eben
wenn du dir ausgedacht hast dass sie schlecht sieht
sie sieht schlecht sagt sie
ich sehe schlecht gestern habe ich nicht gesehen was du geschrieben hast
doch heute sehe ich glatt durch vier seiten hindurch
ich begreif nicht, doch etwas ist mit ihnen passiert, im roman
sie sprechen ganz andere worte
mach's so wie früher
ich werde alles so wie früher machen


* * *

в городе где темные соборы
где зато блестящие газоны
я фаянсовый стакан позора
жадно выпив встала у Сайгона
кровельным железом смотрит небо
не мечтаю жребия иного
я любая справа или слева
от ворот прекрасного Сайгона


* * *

В день торжества электросвета
в час накренившегося лета
мне снится город заповедный
весь набережный весь подлёдный
из ночи плотной непроглядной
где выпросталась дверь парадной
мне снишься ты в дожде и стуже
в ознобе в бедности и хуже
но всякий раз в густом покое
когда ни словом ни рукою
ни силой воли ни досадой
ответного не вырвать взгляда


* * *

смерть прикрывает наготу
плотью мальчика головой щенка
вот, мы брат и сестра
пойдем спустимся в пустоту

тогда
по горло во тьме
клекочущие небеса стараясь не видеть
вот, вы брат и сестра
скажут боги прячущие лицо

в этот праздник неспелого хлеба нас некому выводить
от полей каменных злаков чеканной конопли
в этот день несвернувшейся крови некому нас простить
мы брат и сестра
из дельты

голуби
голуби площадей нас научили
жить

* * *

юннат беспризорный могильщик
ты клеил серебряный гроб
но что мне до смерти я птичка
я зоологический сноб
умелец роскошный курильщик
ты думал я жить не хочу
я жизни не знаю я птичка
я небо верчу


* * *

          я выхожу из провинций моей души
          я тотчас вижу сбоку: тело может быть норка птицы
          но не летучей а гуляющей и чуть прыгать.
          конечно не пестрой.

          и таких полезных вещей немало я повстречаю --
          домики, послушные травки и другие коряги
по пути к столицам.

* * *

дома как стопки детских книг
лежащих поперек
возьми меня с собой на юг
где каменный песок
возьми снеси меня к себе
где легкая вода
смотреть как тихо почему целует никогда

* * *

скажи что стало с Гаммельном моим
он мой флажок свивается на древко
как простынь со стола стекает в реку
его пастух прицелился за ним
свалились этажи моих домов
осыпались они не удержались
смущенные цыгане разбежались
и птица мышь касается полов
ложится теплый снег на городок пустой
на мертвые тела живые крыши
лег теплый снег ложись и ты со мной

* * *

я маленький японец в кипятке
вода почти до дна достигла
вот врач идет с предсердием в платке
и к тряпочке платка оно прилипло
а смерть выходит из-за леса
с такой же тряпочкой в руке
ты не ходи ко мне моя принцесса
я маленький японец в кипятке


* * *

они в саду играют марш
давай играть в войну
ты будешь мой отец погиб а я тебе рыдать
теперь они играют вальс
а ты и я разврат
теперь ты мой хороший брат а я с тобою спать
затем они сыграют что
но мы давно ушли
здесь звезды страшные горят у них глаза внутри

* * *

придумай мне сестру
моя сестра просила написать роман
ей нечего читать ну напишу
если ты придумал что она плохо видит
она плохо видит она говорит
я вижу плохо вчера не видела что ты мне написала
а сегодня я вижу пропустив четыре страницы
не понимаю что-то случилось с ними, в романе
они говорят совсем другими словами
сделай как было я сделаю всё как было


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in der stadt wo dunkle tempel sind
в городе где темные соборы
 
Am feiertag elektrischen lichts
В день торжества электросвета
 
der tod verdeckt die nacktheit
смерть прикрывает наготу
 
jungforscher: verwahrloster totengräber
юннат беспризорный могильщик
 
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